Eine Musik, die lautlos singt und innig schweigen kann
Im Mittelpunkt der Festspielreihe „Fragmente – Stille“steht ein Werk, mit dem Luigi Nono hinter die Klänge hören ließ.
Wie lang ist endlos? Vor dieser Frage stand schon das Ensemble, das im Jahr 1980 Luigi Nonos Streichquartett „Fragmente – Stille, an Diotima“uraufführte. Mit feinst abgestuften Zeichen und Anweisungen gab der Komponist vor, wie lange die Musiker einzelne Klangereignisse halten oder ausklingen lassen sollten: „So lang wie möglich“oder auch „Endlos!?“wollte Nono (1924–1990) an bestimmten Stellen den Übergang von der Musik in die Stille gestalten.
27 Minuten dauerte die Uraufführung der „Fragmente“durch das LaSalle Quartet vor genau vierzig Jahren. Doch „immer wieder waren Nono die Pausen zu kurz“, berichtete der Geiger Walter Levin später dem Musikforscher Wolf Frobenius. Als das Ensemble das Werk später auf Tonträger einspielte, nahm es 38 Minuten in Anspruch.
Die Stille hat in Nonos „Fragmenten“einen ebenso wesentlichen Stellenwert wie der Klang. Das ließ auch das Minguet Quartett in seinem Konzert in der Kollegienkirche am Montagabend (ein zweiter Termin
war am Dienstag angesetzt) aufs Eindrucksvollste hören. Nonos Streichquartett, ein Monumentalwerk der Gegenwartsmusik, hat der diesjährigen Festspielreihe „Fragmente – Stille“in der Kollegienkirche ihren Namen gegeben. Musikalisch war es am Montag der
Höhepunkt eines dramaturgisch zwingend gestalteten Programms, in dem alle Stücke zu Nono führten.
Johannes Ockeghems „Chansons“des 15. Jahrhunderts mit ihren endlos fallenden, pausenlos kreisenden Melodielinien könnte man zwar eigentlich als genaue Gegenstücke zu den „Fragmenten“hören. Dennoch bezog sich Nono in seiner (nach mehrjähriger Schaffenskrise entstandenen) Komposition unmittelbar auf den Renaissancemeister (mit einem versteckten Zitat in der Bratschenstimme, wie das Programmbuch verrät).
Nach einem meditativen Einstieg mit Ockeghem spielte das Minguet Quartett Guiseppe Verdis „Ave Maria“aus den „Quattro pezzi sacri“sowie Beethovens „Heiligen Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit“aus dem Quartett op. 132 farbenreich expressiv. Auch zu diesen beiden Werken knüpfte Nono Verbindungen, auch sie sind nicht offen hörbar, sondern gut in der Partitur versteckt. Das feinstoffliche Mitschwingen von Ideen, die aber unausgesprochen bleiben, ist schließlich ein Wesenskern des Werks: Auf 53 fragmentarischen Hölderlin-Zitaten ist die Partitur aufgebaut: Sie dürfen aber nicht vorgetragen werden, sondern sind dazu bestimmt, von den Musikern innerlich gesungen zu werden.
Das Hören nach innen und nach außen schärften die Mitglieder des Minguet Quartetts in einem knapp 40-minütigen Klang- und Zeitfluss mit einem Spiel zwischen hauchzartem Verklingen und impulsivem Aufflackern, zarten Melodiescherben und in Richtung Endlosigkeit gedehnten Momenten der Stille, die in der Atmosphäre der Kollegienkirche umso eindringlicher wirkten.