Die Frau, die Joe Biden stärkt
Schon wieder die Erste Mit Kamala Harris an seiner Seite will Joe Biden ins Rennen um das Weiße Haus ziehen. Die 55-Jährige hat in ihrem Leben schon oft Geschichte geschrieben.
Es ist nicht lange her, da waren Joe Biden und seine Kandidatin für den Vizepräsidentenposten, Kamala Harris, noch Konkurrenten. Und sie war es, die Biden im Rennen um die Kandidatur der Demokraten den wohl unangenehmsten Moment bescherte. Harris kritisierte Biden dafür, dass er in den 70er-Jahren dagegen gewesen sei, dass Kinder mit Bussen zu Schulen in anderen Bezirken gefahren wurden, um die Trennung von Schwarzen und Weißen aufzuheben. Die Attacke zeigte aber auch, wie geschickt die frühere Staatsanwältin Harris angreifen kann – und das dürfte Bidens Wahlkampf zugutekommen.
Der Tweet von Kamala Harris liest sich im Nachhinein wie ein versteckter Hinweis. „Lasst uns an die Arbeit gehen“und ändern, dass schwarze Frauen in den USA in gewählten Ämtern lang unterrepräsentiert waren. Diese Worte setzt sie am Dienstag ab, wenige Stunden bevor Joe Biden sein gut gehütetes Geheimnis lüftet. Er erklärt die Senatorin aus Kalifornien zu seiner Vizekandidatin im US-Wahlkampf und trifft damit eine historische Entscheidung. Gewinnt das Duo am 3. November gegen Amtsinhaber Donald Trump, wäre Harris nicht nur die erste schwarze Stellvertreterin eines USPräsidenten, sondern auch die erste Frau in diesem Amt.
Der Angriff der Gegenseite folgt prompt. Bidens Entscheidung ist erst wenige Minuten in der Welt, da verbreitet Trumps Wahlkampfteam ein Video. Harris fordere Billionen an neuen Steuern, heißt es darin. Trump selbst sagt im Weißen Haus: „Sie hat gelogen. Sie hat Dinge gesagt, die nicht wahr waren.“Näher geht Trump nicht darauf ein. Und schon ist ein neuer Spitzname für die Frau an der Seite von Biden da: „Phony Kamala“– „verlogene Kamala“.
Im Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur waren Biden und Harris vergangenes Jahr Konkurrenten – und lieferten einander emotionale Schlagabtäusche. Die einstige Staatsanwältin und Justizministerin Kaliforniens kritisierte Biden für seine Kritik am „Busing“in den 1970er-Jahren – eine Maßnahme, die dazu beitragen sollte, die Trennung von Schwarzen und Weißen aufzuheben. Kinder wurden dafür mit Bussen zu Schulen in anderen Bezirken gefahren. Harris – die erst die zweite schwarze Senatorin in der Geschichte der USA ist – verknüpfte dies mit ihrer eigenen Biografie und sagte einen Satz, der vielen in Erinnerung blieb: „Das kleine Mädchen war ich.“
Die Angriffe während des Präsidentschaftsrennens scheint Biden Harris nicht nachzutragen – obwohl nicht bekannt ist, ob Harris sich dafür entschuldigt hat. Als Tochter von Einwanderern aus Jamaika
und Indien steht Harris für die Vielfalt der demokratischen Partei. Ihr wird zugetraut, afroamerikanische Wähler zu mobilisieren. Zuletzt stieg der Druck auf Biden, sich für eine nicht weiße Frau zu entscheiden. Denn neben der Wahl und der Coronapandemie gibt es ein weiteres Thema, das die Gemüter der Amerikaner seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz bewegt und die öffentliche Debatte prägt: der Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt.
„Rassengerechtigkeit steht 2020 zur Abstimmung“, sagte Harris schon, als sie im März ihre Unterstützung für Bidens Kandidatur bekannt gab. Sie weist sie immer wieder darauf hin, dass Minderheiten wie Afroamerikaner stärker von der Coronakrise betroffen sind. Zudem arbeitete sie entscheidend an der Polizeireform der Demokraten im Kongress mit und tat sich als starke Stimme gegen polizeiliches Fehlverhalten hervor.
Was ihr Gegner allerdings weiterhin vorwerfen dürften: dass ihre Versprechen nach Reformen eines „kaputten“Strafjustizsystems nicht im Einklang mit ihrer Karriere in der Justiz stehen. Kritiker beschuldigen sie, in Kalifornien in mehreren Fällen dafür gesorgt zu haben, dass Fehlurteile trotz eindeutiger Beweise in Kraft blieben.
Harris war die erste Schwarze, die in San Francisco zur Bezirksstaatsanwältin gewählt wurde, und war die erste Frau und Afroamerikanerin im Amt des Justizministers in Kalifornien. Nun hat sich Kamala Harris dem Kampf von Joe Biden verschrieben. Gewinnen die beiden die Wahl, dürfte Harris deutlich mehr Gewicht als ihren Vorgängern zukommen. Biden wäre bei Amtsantritt 78 Jahre alt. Als Vizepräsidentin könnte Kamala Harris sein Erbe im höchsten Amt des Staates antreten – und wieder die Erste sein.
„Bei dieser Wahl geht es um die Seele der Nation.“
Kamala Harris, Bidens Running Mate