Kamala Harris hat, was Joe Biden fehlt
Joe Bidens Nummer zwei ist eine Frau, schwarz und charismatisch. Gemeinsam könnten sie die gespaltenen Staaten von Amerika einen.
Joe Biden wird in diesem Jahr 78 Jahre alt. Die Versuche von Republikanern, ihn als dement darzustellen, fruchten zwar nicht. Aber sein Alter merkt man ihm an. Er braucht deshalb jemanden an der Seite, der Schwung ausstrahlt, der mitreißen kann, der in Zeiten von Anti-Rassismus-Protesten die Vielfalt der Demokratischen Partei repräsentiert, der politische Erfahrung mitbringt und ihm in bewegten Zeiten den Rücken freihält. Und dem die Amerikaner im Notfall zutrauen, von einem Tag auf den anderen übernehmen zu können.
All das bringt Kamala Harris, die 55-jährige Senatorin aus Kalifornien, mit, die nun als erste schwarze Frau für eine der großen Parteien als Running Mate im US-Wahlkampf antritt. Dass Joe Biden eine Frau gewählt hat, ist nach fast vier Jahren Machogehabe im Weißen Haus, in denen der Präsident der Vereinigten Staaten Frauen wiederholt zum sexuellen Objekt degradiert hat, ein Fest.
Biden hat sich viel Zeit für seine Entscheidung genommen und es sich offenbar nicht leicht gemacht. Harris und er strahlten einander nicht immer so an, wie jetzt auf Fotos des Wahlkampfteams zu sehen ist. Im Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur waren die beiden vergangenes Jahr Konkurrenten – und lieferten einander teils emotionale
Auseinandersetzungen. Biden bekam am eigenen Leib zu spüren, wie schlagfertig und forsch die einstige Staatsanwältin und Justizministerin Kaliforniens sein kann. Harris ist zudem die Tochter einer Mutter aus Indien und eines Vaters aus Jamaika. Ein wichtiges Signal für ein Land, in dem aktuell die systematische Benachteiligung von schwarzen US-Amerikanern zu den beherrschenden Themen gehört. Biden hofft, so noch mehr Wählerschichten zu gewinnen.
Joe Biden steht für viele Amerikaner für ein Zurück zur Normalität. Er war quasi immer schon da, war von 1973 bis 2009 Senator und von 2009 bis 2016 Barack Obamas Vizepräsident. Er symbolisiert nach fast vier Jahren Trump’scher Turbulenzen ein Versprechen: zurück zu Besonnenheit und Berechenbarkeit. Mit seiner Entscheidung für Kamala Harris zeigt er, dass seine Präsidentschaft nicht bloß eine Reise in die Vergangenheit wäre. Er will gestalten und versteht es, auf die Bedürfnisse der Gegenwart einzugehen. Mit Kamala Harris an der Seite ins Präsidentschaftsrennen zu ziehen ist ein kluger Schachzug und eine Riesenchance: Das Duo hat das Zeug, die Gräben in den so gespaltenen Staaten von Amerika zumindest schrumpfen zu lassen.