„Machtübernahme der Rechten“
Politaussteiger und Medieneinsteiger Peter Pilz über Allmachtsansprüche der Türkisen, autoritäre Tendenzen des Kanzlers und die allerletzte Chance der Grünen.
Politaussteiger und Medieneinsteiger Peter Pilz spricht über Allmachtsansprüche der Türkisen, autoritäre Tendenzen des Kanzlers und die allerletzte Chance der Grünen.
WIEN. Peter Pilz saß lange Jahre für die Grünen im Nationalrat und profilierte sich als Aufdecker der Nation. 2017 verkrachte er sich mit seiner alten Partei und zog mit einer eigenen Liste (Jetzt) ins Parlament ein. Dies brachte Pilz wenig Glück: Sein Image litt wegen der Anschuldigung sexueller Belästigung und bei den Neuwahlen 2019 flog der Ex-Grüne mitsamt seiner Liste aus dem Nationalrat. Nun will er mit seinem „Boulevard- und Investigativmedium“ZackZack noch erfolgreiche Pilz-Jahre anhängen. Denn: „Ich war immer Parlamentarier, aber ich war von meiner investigativen Arbeitsweise her eigentlich immer Journalist.“
SN: Sind Sie, als Sie heuer 66 wurden, aufgewacht und haben sich gedacht: Mit
66 Jahren, da fängt das Leben an? – Oder haben Sie gedacht: Mist, ich wär’ ein viel besserer Vizekanzler als der Kogler?
Peter Pilz: Nein, es hat mich nie in solche Ämter gedrängt. Das wissen Kogler und ich: Wenn ein Sebastian Kurz lenkt, dann setz ich mich nicht ins Beiwagerl. Letztlich haben sich unsere Wege genau bei solchen Fragen getrennt: Ist Regierungsbeteiligung um jeden Preis das Ziel oder müssen Grüne nicht einen Gegenpol zu Parteien wie der neuen ÖVP bilden? Unvorbereitet in diese Koalition reinzustolpern ist das eine, schlecht zu verhandeln ist das andere. Aber sich jetzt so vorführen zu lassen – ich hätte mir das nie vorstellen können.
SN: Stichwort Ibiza: Ist es nicht ein Treppenwitz, dass Sie wegen der Ibiza-Neuwahlen jetzt nicht mehr im Parlament sitzen, Strache aber vielleicht bald im Wiener Gemeinderat?
Ja, aber das ist nur die Oberfläche. Dahinter passiert etwas viel Wichtigeres. Die Zeit seit der Übernahme der ÖVP durch Kurz ist die Zeit der systematischen Machtübernahme der Rechten in Österreich. Wenn große Medien nur mehr Mitläufer sind, wenn Oligarchen wie Benko die öffentliche Meinung für die ÖVP organisieren, dann ändert sich etwas in der Republik. Ich habe seinerzeit gesagt, die Aufgabe von Grünen, SPÖ und auch meiner damaligen Liste war es, mit allen Mitteln um eine unabhängige Justiz, um eine nicht von einer Partei kontrollierte Polizei und vor allem um Medien- und Meinungsfreiheit zu kämpfen. Die Medienfreiheit ist die Schlüsselfreiheit, wenn es keine Medienfreiheit gibt, fällt der Rechtsstaat mit, fällt die parlamentarische Demokratie mit.
SN: Das steht alles hinter Ihrer späten Karriere als Journalist?
Ich war immer Parlamentarier, aber ich war von meiner investigativen Arbeitsweise her eigentlich immer Journalist. Vielleicht bin ich auch deshalb jetzt ein zweites Mal am richtigen Platz gelandet. Es war schon ein Teil des Projekts der Liste Jetzt, ein neues Medium aufzubauen. Das Parlamentsprojekt war ein Misserfolg, aber das Medienprojekt ZackZack ist ein großer Erfolg. Es ist die vordringlichste Aufgabe, wenn die alten Medien gekauft und gegängelt werden ...
SN: Nicht alle!
Das ist mir schon klar, sonst hätten wir russische und nicht österreichische Verhältnisse. Gerade in den Bundesländern haben wir Gott sei Dank noch ganz große und wichtige Ausnahmen und auch in Teilen des ORF. Aber wenn wir das verlieren, werden wir Freiheit und Demokratie verlieren. Die Kurz-ÖVP ist keine
Partei, die unsere Freiheiten achtet, das ist ein autoritäres Projekt.
SN: Haben Sie diese Erfahrung als Neojournalist im letzten halben Jahr schon gemacht?
Eine ehemalige stellvertretende ÖVP-Bundeschefin und jetzige Casinos-Chefin hat ZackZack auf eine existenzbedrohende Summe verklagt. Schauen Sie nach Ungarn! Wenn Kurz Justiz und Medien unterwirft, ist auch bei uns der nächste Schritt möglich: die Ausschaltung des Parlaments.
SN: Sie meinen im Ernst, dass das auch bei uns droht?
Wir müssen endlich begreifen, dass die neuen autoritären Projekte nicht den geringsten Respekt vor Medienfreiheit, vor unabhängiger Justiz und vor parlamentarischer Demokratie haben. Ich habe noch nie einen Bundeskanzler erlebt, der das Parlament derartig verachtet und sich in einem Untersuchungsausschuss derartig aufführt.
SN: Was ist Ihr Erkenntnisgewinn aus dem Ibiza-Untersuchungsausschuss?
Es ist bezeichnend für die jetzige Situation der parlamentarischen Kontrolle, dass wir in ZackZack mehr einschlägige Akten haben als der U-Ausschuss. Der Ausschuss muss jetzt ins Detail gehen, denn das, was in den Casinos passiert ist – und mit größter Wahrscheinlichkeit strafbar ist –, das ist in zahlreichen anderen Unternehmen auch passiert.
SN: Postenschacher und Parteibuchwirtschaft hat es immer gegeben.
Die Art und Weise, wie damit auch Schaden in den Unternehmen bewusst in Kauf genommen wird, ist neu. Dieses „Mir ist das völlig wurscht, was mit dem Eigentum der Republik ist“spürt man überall, wenn man die Akten liest.
SN: Und das war früher anders?
In der Geschichte der Verstaatlichten Industrie hat es auch Parteibuchwirtschaft gegeben – viel rote Parteibuchwirtschaft –, aber im Mittelpunkt stand immer, aus der Verstaatlichten etwas zu machen. Die staatlichen Unternehmen damals gehörten zur Weltspitze. Heute werden sie von Parteien wie der ÖVP in Grund und Boden gewirtschaftet.
SN: Im Ibiza-U-Ausschuss geht es mittlerweile viel mehr um die ÖVP als um die FPÖ.
Das ist eine der Leistungen des Ausschusses. Die Affäre Sidlo ist ein Nebenschauplatz in den Casinos. Vorgeschichte ist, dass die ÖVP mit der Kurz-Vize GlatzKremsner die Macht in den Casinos übernommen hat. Dann kam die FPÖ und hat gesagt: Entschuldigung,
wir haben einen geheimen Proporz-Deal, uns steht ein Drittel zu. Da ist die ÖVP eine große Meisterin – wenn andere was anstellen, dann ist das ein Verbrechen, wenn die ÖVP was anstellt, dann ist sie das Opfer.
SN: Haben Untersuchungsausschüsse einen immanenten Konstruktionsfehler, da so oft nur diffuse Ergebnisse rauskommen?
Die diffusen Ergebnisse sind klassischer türkiser Spin. Unsere Untersuchungsausschüsse gehören zu den erfolgreichsten Europas. Der Eurofighter-U-Ausschuss hat so viel herausbekommen, dass ausschließlich auf Basis seiner Erkenntnisse Airbus in den USA und in München verurteilt worden ist. Nur bei uns wird alles „derschlagen“. Es gibt nur einen Ort in Österreich, wo die Kontrolle wirklich funktioniert: Überall sonst in Europa ist es die Justiz, in Österreich ist es das Parlament. Eurofighter, BVT, Telekom, das waren extrem ertragreiche Ausschüsse, wo später ziemlich viele Journalisten den Spin übernehmen: viel Rauch und kein Feuer. Und jetzt stelle ich auch Ihnen die Gegenfrage: Erklären Sie mir mal die Ergebnislosigkeit des Eurofighter-Ausschusses!
SN: Dass die Eurofighter als blechernes Mahnmal für ungeklärte Geldflüsse im Beschaffungswesen weiterfliegen. Das ist eine Fehlentscheidung der Verteidigungsministerin. Die illegalen Geldflüsse, die Beeinflussung der Entscheidungen, der Schaden für Österreich – das hat das Parlament geklärt.
SN: Warum gab es dann keine Konsequenzen?
Weil die Strafverfahren abgewürgt werden. Weil das Eurofighter-Verfahren unter den Augen der Justizministerin und teilnahmslosen Medien gerade von der Oberstaatsanwaltschaft Wien „derschlagen“wird. Wenn das gelingt, wird die Republik um Ansprüche von mindestens einer Milliarde gebracht.
SN: Dann gehen Sie wohl auch davon aus, dass die Ergebnisse des Ibiza-Untersuchungsausschusses „derschlagen“werden?
Von dieser Regierung mit Sicherheit. Es kommt jetzt vielleicht ein letztes Mal auf die Grünen an. Sie sind der schwächste Koalitionspartner, den die ÖVP unter Kurz bisher hatte. Wahrscheinlich ist der UAusschuss die letzte Chance der Grünen. Im Untersuchungsausschuss könnten sich die Grünen rehabilitieren. Wenn sie eine Allianz mit SPÖ und Neos zur Aufklärung von „Ibiza-Türkis“bilden ...
SN: ... dann haben wir bald Neuwahlen.
Na und? Dann gehen die Grünen zumindest als Hoffnungsträger in diese Neuwahlen.
„Die ÖVP – ein autoritäres Projekt.“
„Der Kanzler verachtet das Parlament.“