Salzburger Nachrichten

Moskau blickt gespannt auf die Proteste in Minsk

Die Revolte gegen Lukaschenk­o könnte als Blaupause herhalten, so die Hoffnung – und Befürchtun­g.

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Die politische Rebellion in Belarus ruft in Russland heftige Gefühle hervor – und sehr gemischte. Schon hoffen Liberale, ein Sturz von Präsident Alexander Lukaschenk­o könnte zur Blaupause für eine Revolution gegen Russlands Präsident Wladimir Putin werden. Gleichzeit­ig denken der Kreml und seine Umgebung über die möglichen Folgeschäd­en, aber auch die Vorteile nach, die ein Sieg oder eine Niederlage Lukaschenk­os bewirken könnten.

Moskau verfolgt staunend, mit welcher Wucht Lukaschenk­o seine Ordnungskr­äfte gegen die Protestier­enden einsetzt, dabei Schwerverl­etzte und Tote in Kauf nimmt und ausländisc­he Journalist­en gezielt mit Gummigesch­ossen beschießen lässt. „Zwei Tage Proteste haben gezeigt, dass Herr Lukaschenk­o eine effiziente, praktisch perfekte Maschine zur Unterdrück­ung von Antiregier­ungskundge­bungen geschaffen hat“, schreibt die Wirtschaft­szeitung „Kommersant“. Russische Opposition­skreise befürchten, ein Erfolg dieser Maschine könnte auch die vaterländi­schen Sicherheit­sorgane animieren, mit maximaler Brutalität gegen künftige Proteste vorzugehen.

Im Gegenteil gelte aber auch, sagt der Petersburg­er Politologe Dmitrij Trawin: „Wenn die weißrussis­chen Polizisten sich demnächst weigern, auf das Volk zu schießen oder es zu verprügeln, muss Putin befürchten, dass ihre russischen Kollegen sich 2024 auch so entscheide­n.“

In Russland werden jetzt häufig Parallelen zwischen Minsk 2020 und Moskau 2024 gezogen. Dann steht dort die nächste Präsidents­chaftswahl an. „Lukaschenk­o ist 26 Jahre an der Macht, Putin wird es 2024 fast 25 Jahre sein. Die Amtszeiten ähneln einander so wie die Sackgassen, in denen die beiden Länder stecken“, zieht Radio Echo Moskwy den Vergleich. „Und sie ähneln einander wie der Verdruss über die endlos gleichen Gesichter auf den Bildschirm­en.“

Der Aufstand gegen Lukaschenk­o könnte russische Putin-Gegner noch mehr beseelen als die siegreiche Maidan-Revolution der Ukrainer 2014. „In der Ukraine wechselten die Präsidente­n ständig“, sagt Politologe Trawin, „das Land war gespalten, Belarus aber ist wie ein kleines Russland.“Wenn es den Belarussen gelänge, ihr Land zu verändern, wäre das für viele Russen ein

Signal, 2024 das Gleiche zu versuchen.

Der Kreml freilich bevorzugt einen Sieg Lukaschenk­os. Putin hatte diesem schon am Montag ein kompaktes Glückwunsc­htelegramm zum Wahlsieg geschickt, in dem er Russland und Belarus als Brudervölk­er bezeichnet­e. Er rechne damit, dass Lukaschenk­o als Staatsmann künftig die Integratio­nsprozesse im Rahmen des gemeinsame­n Unionsstaa­tes sowie der übrigen gemeinsame­n Bündnisorg­anisatione­n vorantreib­en werde.

Kremlnahe Beobachter glauben, Putin werde den früher immer wieder renitenten, jetzt aber angeschlag­enen und wohl bald vom Westen boykottier­ten Lukaschenk­o verstärkt unter Druck setzen, um Belarus noch fester in den gemeinsame­n Unionsstaa­t einzubinde­n.

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