„Salzburg ist ein Leuchtturm“
Liegt die Kunst darnieder oder gelingt es, wieder Kontinuität herzustellen? Sänger Johannes Martin Kränzle spricht über das Glück des Jetzt und die Gefahren einer prekären Zukunft.
SALZBURG. Durch die Absage der Bayreuther Festspiele, wo er wieder Sixtus Beckmesser gewesen wäre, war Johannes Martin Kränzle frei für die Rolle des Don Alfonso in „Così fan tutte“bei den Salzburger Festspielen. Diese Charakterstudie reifte über zwölf Jahre in Christof Loys Inszenierung, deren Urfassung eben 2008 in Frankfurt herauskam. Trotzdem sieht man diese Mozart’sche „Schule der Liebenden“jetzt im neuen Licht.
SN: Drei der sechs „Così“Vorstellungen sind gespielt, eine intensive Probenphase ging voran. Man könnte sagen: Man sei über den Berg.
Wie fühlt sich das nun für Sie direkt an in sogenannten Corona-Krisenzeiten?
Johannes Martin Kränzle: Es ist schon ein großes Geschenk, dass das alles so über die Bühne gehen kann, in einem „normalen“Zustand, mit vollständigem Orchester, mit einem Chor, der hier klug hinter der Bühne postiert ist, und vor allem mit Darstellern, die sich dank der vielen Testungen doch so benehmen und bewegen dürfen, wie es sonst im Theater nötig ist. Man hört ja andernorts auch von Proben mit Masken und mit Abstand. Aber das ist gefährlich, denn dann wird Theater schnell aseptisch.
SN: Könnte Salzburg also die erwartete Signalwirkung auf den Kulturbetrieb haben?
Ich hoffe das. Wenn alles gut zu Ende gebracht wird, dann sollte es durchaus ausstrahlen, zumindest auf die großen Bühnen, die sich auch finanziell die Tests leisten können. Man müsste aber auch schauen, ob es nicht für kleinere Theater möglich gemacht wird, das künstlerische Personal auf der Bühne und vielleicht auch den Chor und das Orchester kontinuierlich testen zu lassen, um einen relativ normalen Spielbetrieb – wenn wohl auch mit wesentlich weniger Zuschauern – zu gewährleisten.
SN: Wie erleben Sie in den Aufführungen dieser „Così“das Feedback des Publikums?
Ich spüre vor allem eine große Aufmerksamkeit. Es ist eine Ruhe und Konzentration zu erleben, die allen guttut, Künstlern wie Besuchern. Im Moment der Aufführung herrscht eine spürbar gespannte Atmosphäre, trotz des Riesenraums, gerade auch in den langsamen und leisen Passagen. Man erlebt somit auch eine andere Qualität des Zuhörens. Und auch der Applaus ist vielleicht nicht laut, aber lang und intensiv, und da spürt man große Dankbarkeit, sozusagen die Anerkennung des Moments.
SN: Welche Auswirkungen hat die aktuelle Krise auf das Tempo Ihrer eigenen Planung, nachdem ja vieles, vom Bayreuther Beckmesser bis zum in Hamburg geplanten „Saint François d’Assise“, abrupt gecancelt wurde?
Ich versuche ohnedies, nicht zu vieles gleichzeitig zu machen. Seit einigen Jahren bin ich freiberuflich tätig, aber ich brauche immer wieder die Geborgenheit eines Ensemble-Zusammenhalts. Insofern ist „Così fan tutte“mein Lieblingsstück, weil es hier genau darum geht. Und: Meine erste größere Rolle, die ich auf der Bühne gespielt habe, war Guglielmo, weshalb „Così fan tutte“das Stück ist, das mir am häufigsten begegnet ist.
SN: Kommen wir zu Don Alfonso: eine rätselhafte Figur, ein
„alter Philosoph“. Wer ist er? Ein Typus oder ein Mensch? Ich hoffe sehr, ihn als Menschen zeigen zu können. In unserer Inszenierung ist er auch in der Wette ein ambivalenter Charakter, einerseits möchte er den jungen Burschen vorführen, was das Leben mit ihnen vorhaben könnte, er zeigt aber nicht nur Spaß an der Sache, sondern auch Mitgefühl. Und vielleicht wird er ja auch selbst an seine eigene Jugend erinnert und an seine eigenen Verletzungen. Mag sein, dass daher eine gewisse Desillusionierung kommt, aber das soll alles in der Schwebe bleiben.
Don Alfonso will aber nicht nur den Männern, sondern auch den Frauen zeigen: Zur Reifung gehört auch, dass man Verletzungen aushalten kann, vielleicht sogar muss. Je früher ihnen das bewusst wird, desto besser. Seine eigene Lebenserfahrung zeigt ihm, dass die Überheblichkeit, der unbekümmerte Sturm der Jugend sich später als Trugbild erweisen wird. Also ist das, womit er experimentiert, durchaus, wie es im zweiten Titel heißt: eine Schule der Liebenden.
SN: Eine sonderbare „Schule“ist auch die aktuelle Krise: Welchen Stellenwert kann nun Kultur (wieder) einnehmen? Ich bin gegen eine sinnentleerte Festivalkultur, an der man nur teilnimmt, weil große Namen und schöne Stimmen wichtiger genommen werden als Fragen des Inhalts und der Essenz. Ich habe ein Unbehagen gegen Events, ich kann auch Arienabenden nichts abgewinnen. Bei einem Festival wie in Salzburg gibt es aber eine klare Programmatik, die meinem Verständnis von und für Kunst klar entgegenkommt.
SN: Aber die Zeichen stehen im Moment auf Hoffnung? Tatsächlich habe ich nach der ersten Phase des Lockdowns gedacht, nun komme bis Ende August gar nichts. Ich habe diese Zeit genutzt: bei der Familie zu sein, Russisch zu lernen, ein wenig zu komponieren. Und dann kam doch, fast überstürzt, alles wieder ins Laufen. Ich konnte noch vor Salzburg in Dresden an einer „Fidelio“-Aufnahme mitwirken, gleich nach Salzburg geht es nach Zürich, wo ich Rangoni in einer Neuinszenierung des „Boris Godunow“singen werde. Das wird wieder eine andere Erfahrung: Orchester und Chor werden aus einem anderen Raum zugespielt.
SN: Das heißt, mit der Kunst geht es aufwärts, also geht es ihr wieder gut?
Nein, sicherlich noch nicht. Das, was derzeit passiert, sind sehr wichtige Wiederbelebungszeichen. Doch ergeben sie längerfristig nur Sinn, wenn Oper, Theater, Konzert wieder flächendeckend stattfinden können. Salzburg ist ein Leuchtturm. Aber wie sieht das an kleinen Häusern mit Jahresspielplänen aus, was bedeutet das für die kulturelle Infrastruktur? Wenn sich da die Situation nicht festigt, künstlerisch und auch ökonomisch, wäre das für die Kultur tatsächlich ein SuperGAU. Und eines darf nicht passieren: dass sich Verteilungskämpfe auftun und sich womöglich die Künste selbst gegeneinander ausspielen. Das wäre dumm und fatal.
Aber nachzudenken, wie ein Kulturbetrieb nach Corona ausschauen könnte, ist sehr wohl vonnöten. Ich würde mir eine größere Nachhaltigkeit wünschen, etwa gelungene Produktionen länger in derselben Besetzung auf den Spielplänen zu halten. Auch die Beliebigkeit mancher Programmplanungen sollte zugunsten größerer Sinnzusammenhänge hintangestellt werden. Und vielleicht hilft auch ein neu zu entwickelnder Ensemblegedanke weiter. Wir dürfen und müssen optimistisch nach vorn blicken.
„Wir dürfen und wir müssen optimistisch nach vorn blicken.“