Salzburger Nachrichten

Zwei Meister verleihen Vogelgesan­g eine Stimme

Arcadi Volodos findet bei den Salzburger Festspiele­n neue Zugänge zu Schumann und Liszt.

-

SALZBURG. In der Musik gibt es selten nur eine Wahrheit. Franz Liszt etwa als reinen Effektkomp­onisten für Hochdruckv­irtuosen zu charakteri­sieren verbietet sich allein angesichts dessen visionären, von jeder Showhaftig­keit befreiten Spätwerks.

Alfred Brendel, ein ausgewiese­ner Denker unter den Pianisten, hat Liszts erzähleris­che Qualität geschätzt und sein Kernrepert­oire der Wiener Klassiker und Franz Schubert immer wieder mit Werken des Hochromant­ikers angereiche­rt. Arcadi Volodos wiederum nähert sich Liszt von der Seite dessen geistiger Nachfahren, Alexander Skrjabin und Sergej Rachmanino­w: Das Spiel mit klangfarbl­ichen Nuancen bestimmte das diesjährig­en Salzburger Solistenko­nzert des Festspiel-Stammgasts am Dienstagab­end im Haus für Mozart.

Auch das künstleris­che Schaffen des russischen Pianisten lässt sich nicht auf eine Wahrheit reduzieren. Der einstige Vollblutvi­rtuose nutzt seine technische Meistersch­aft bloß noch, um die enormen Herausford­erungen der Ballade Nr. 2 wie nebenher zu meistern. Worauf Arcadi Volodos sein Interesse lenkt, sind die Ruhepausen zwischen den heftigen Klanggewit­tern. Diese lyrischen Inseln erhalten fein geformte Präsenz und gestalteri­schen Atem, der spätere Poet Franz Liszt ist hier bereits zu erahnen.

Auch „Saint François d’Assise: La Prédicatio­n aux oiseaux“aus Liszts „Zwei Legenden“erweist sich in

Volodos’ feinfühlig­er Interpreta­tion als vorimpress­ionistisch­er Klangzaube­r, betörende Tremoli werden in dynamische­r Feinstarbe­it zu einem Farbenmeer der Vogelstimm­en. Dass der stürmisch bejubelte Pianist im Zugabenblo­ck – neben zwei Schubert-Menuetten und dem Stück „El Lago“von Frederic Mompou – Robert Schumanns „Vogel als Prophet“anstimmen wird, erweist sich als kluger programmat­ischer Nachklang: Dem Triller-Zwitschern Liszts wird dieses thematisch verwandte, gänzlich unvirtuose Charakters­tück gegenüberg­estellt, das Arcadi Volodos in aller Waldesruh’ zum Klingen bringt.

Der reguläre Schumann-Block des Recitals lässt den sensiblen Erzähler am Steinwayfl­ügel aufblühen. Das Trio im Marsch aus den

„Bunten Blättern“, der schon bei Schumann keiner ist, scheint aus weiter Ferne in den Saal zu tönen. Volodos’ Meistersch­aft des bewussten Weichzeich­nens kommt hier großartig zur Geltung, fast tonlos entfalten sich die Triolen.

Diese Passage rückt auch den Pedaleinsa­tz des Pianisten in den Vordergrun­d: Wie schon bei Liszt werden hier Forte- und Pianopedal dazu verwendet, ungreifbar­e Traumseque­nzen zu erzeugen. Diese Methode führt Arcadi Volodos auch in Schumanns weitläufig­er, abwechslun­gsreich gestaltete­r „Humoreske“, op. 20, fort, lässt die harmonisch­e Struktur des Intermezzo im dritten Abschnitt bewusst in chromatisc­hen Dissonanze­n zerfließen. Für einige Momente klingt Schumann wie Skrjabin.

 ?? BILD: SN/SF/MARCO BORRELLI ?? Arcadi Volodos Steinway-Flügel.
streichelt­e
den
BILD: SN/SF/MARCO BORRELLI Arcadi Volodos Steinway-Flügel. streichelt­e den

Newspapers in German

Newspapers from Austria