Festspielstars kämpfen gegen Flächenfraß
Tobias Moretti und Franz Welser-Möst sind die Promi-Zugpferde der Allianz „Stoppt Bodenvernichtung“. Kritik gibt es aber auch an der Salzburger Raumordnung.
SALZBURG. Bei Brotgetreide hat Österreich nur mehr einen Selbstversorgungsgrad von 86 Prozent, bei Gemüse weniger als 50 und bei Soja nur mehr 15 Prozent. Gleichzeitig haben wir die höchste Supermarkt-Dichte Europas (1,67 m2/Kopf) und eines der dichtesten Autobahnnetze (15 Meter/Kopf). Dazu kommen 40.000 Hektar leer stehende Industriehallen, was fast der Fläche Wiens entspricht. Binnen 20 Jahren sind österreichweit 150.000 Hektar Agrarflächen durch Verbauung zerstört worden. Der tägliche Bodenverbrauch in Österreich liegt mit 13 Hektar (= 20
Fußballfeldern) weit über dem im Regierungsprogramm verankerten Ziel von 2,5 Hektar (vier Fußballfeldern). Und in Salzburg werden täglich 0,6 Hektar versiegelt – Ziel wären hingegen nur 0,2. Mit diesen dramatischen Zahlen begründete der Vorstand der Hagelversicherung, Kurt Weinberger, warum es die von ihm gegründete Allianz „Stoppt Bodenvernichtung“braucht. Mit an Bord sind auch zwei prominente Vertreter aus der Kultur: Der eine ist „Jahrhundert-Jedermann“Tobias Moretti, der mit seiner Frau einen Biobauernhof in Tirol bewirtschaftet. Morettis Kritik: „Wir legen unsere Lebensmittelversorgung in Schutt und Asche und sägen am eigenen Ast.“Dabei würden die Österreicher gerade seit der Coronakrise mehr Wert auf regionale Lebensmittel legen: „Wir jedoch machen uns durch den hohen Flächenverbrauch immer mehr von ausländischen Lieferanten abhängig. Ganz abgesehen vom Wahnsinn, ständig unsere Grün- und Ackerflächen in Bau- und Industrieland umzuwidmen. Es gibt ja kein Zurück mehr! Braucht wirklich jedes Dorf sein eigenes Industriebzw. Shoppingcenter? In und um Innsbruck gibt es vier bis fünf große Einkaufszentren in einem Gebiet, das 15 Kilometer umfasst. Man braucht nie mehr von Kultur zu reden, wenn man die Kultur des eigenen Lebens vernichtet.“
Der andere Teil der Allianz ist
Stardirigent Franz Welser-Möst. Er kritisiert den HandelsflächenWildwuchs rund um den Attersee, wo er seinen Hauptwohnsitz hat: „Da ist ein Supermarkt nach dem anderen entstanden. Aber außer am Samstagvormittag sind die asphaltierten Parkplätze fast durchgehend leer. Und auch Industriebauten und die damit verbundenen Werbungen an der Autobahn
Moretti: „Bürgermeister sind überfordert.“
können anders aussehen“– wie etwa Werbestelen, die 30 Meter in die Luft ragten. Aber eine verschandelte Landschaft gefährde auch den hiesigen Tourismus, betont Welser-Möst. Er ist sich mit Moretti einig, dass die Bürgermeister oft überfordert seien – auch mit ihrer Funktion als Baubehörde erster Instanz: „Je kleiner die Gemeinde, desto größer die Gefahr der Verhaberung. Eine übergeordnete Instanz wäre da eine Lösung“, so der Dirigent.
Weinberger betont, dass man auch den Boden als kritische Infrastruktur sehen müsse. Denn der fortschreitende Flächenfraß beschleunige auch den Klimawandel: „Durch die Versiegelung des Bodens geht der nötige CO2und Wasserspeicher für immer verloren, Schäden durch Wetterextreme wie Dürreperioden und Hochwasser werden mehr.“
Weinberger nahm aber auch zur aktuellen Wohnbau- und Raumordnungsdebatte in Salzburg Stellung. Denn wie berichtet würde das geplante Maßnahmengesetz für kostenreduzierte Wohnbauten laut Entwurf auch ein Bauen im Grünland ermöglichen – ohne Bebauungspläne. Weinbergers Wunsch: „Ehe man neue Flächen zubetoniert, sollte man andere Möglichkeiten prüfen.“In Bayern werde etwa eine Widmung einer Fläche erst dann erlaubt, „wenn alle Möglichkeiten der inneren Entwicklung der bestehenden Immobilie – wie Dachgeschoßaus- oder Zubauten – ausgeschöpft wurden“. Er hat daher Sympathie für die von den Grünen eingebrachten Punkte für eine Reform des Raumordnungsgesetzes (ROG) – wie etwa die Vorschreibung von MindestBebauungsdichten: „Das ist g’scheit. Denn derzeit kann man Fläche ohne Konsequenz verbrauchen.“Zudem fordert er eine Bodenverbrauchsabgabe: „Aus deren Einnahmen könnte man Gebäuderevitalisierungen finanzieren.“
Bei der bestehenden Infrastrukturabgabe plädiert er für eine Erhöhung: „Dann gibt es auch mehr freiwillige Rückwidmungen.“Und die Zweitwohnsitze? „Die gehören viel, viel deutlicher besteuert. Denn die nutzen die gesamte Infrastruktur, sind aber nur ein oder zwei Monate im Jahr bewohnt.“Lieber als eine Leerstandsabgabe hätte er „ein Anreizsystem des Bundes, damit sich auch für einen Liegenschaftseigentümer Investitionen wirtschaftlich darstellen lassen“. Bei Umwidmungen wünscht sich Weinberger außerdem eine restriktivere Genehmigungspraxis durch das Land als Aufsichtsbehörde.
Landesrat Josef Schwaiger (ÖVP) will den Ball der Grünen in puncto ROG-Reform aufgreifen: „Eine juristisch haltbare Leerstandsund eine Zweitwohnsitzabgabe werden kommen; und auch Mindestbebauungsdichten sind ein geeignetes Instrument.“Die Infrastrukturabgabe, die derzeit ab dem fünften Jahr fällig wird und zwischen 800 und 1200 Euro pro Parzelle beträgt, will er aber nicht erhöhen: „Denn Rückwidmungen halte ich nicht für den großen Schlüssel.“Und um Ortskerne zu revitalisieren, will Schwaiger auf die Einstellung eines Kommunalberaters setzen: „Denn was es braucht, ist jemand, der Eigentümer neutral berät und ihnen Möglichkeiten aufzeigt – und Beispiele, was man anderswo aus Altbauten gemacht hat.“