Salzburger Nachrichten

Kalter Krieg um Daten und Technologi­en

Hinter dem Kampf um die an sich simple Video-App TikTok steckt viel mehr als die Sorge um den Verbleib von lustigen Tanzvideos.

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WASHINGTON. Das Zerren der Großmächte um die Video-App TikTok geht weiter. Nachdem am Wochenende scheinbar eine Übereinkun­ft erzielt war, stellten am Montag und Dienstag erst US-Präsident Donald Trump und dann die chinesisch­e Regierung das Geschäft wieder infrage. Trump sagte am Montag, eine chinesisch­e Mehrheitsb­eteiligung an der App sei für ihn nicht akzeptabel. Die TikTok-Muttergese­llschaft Bytedance aus Peking stellte am Dienstag klar, weiterhin 80 Prozent der Anteile an der neu zu gründenden TikTok Global halten zu wollen; die US-Firmen Walmart und Oracle müssten sich mit dem Rest begnügen. Da beides nicht zusammenpa­sst, droht eine Rückkehr an den Anfang der Verhandlun­gen.

Der Streit wird sich voraussich­tlich noch hinziehen. Denn dahinter steckt ein Konflikt von weltpoliti­schen Rivalen, der sich nicht so schnell auflösen lässt. Die beiden Großmächte USA und China wollen verhindern, dass die jeweils andere die Vorherrsch­aft über die Technikwel­t übernimmt: Daten sind Macht. Kürzlich wurde bekannt, dass eine Firma in Shenzhen im Auftrag Pekings bereits Daten von mehr als 2,4

Millionen Entscheidu­ngsträgern in anderen Ländern zusammenge­tragen hat. Apps sind eine Waffe im Kalten Krieg der Informatik. Auch wenn Anwendunge­n wie TikTok eher Teenies zur Zielgruppe haben und verspielt wirken: Die Informatio­nen darin sind heiß umkämpfte Rohstoffe der modernen Industrie.

Die US-Haltung gegenüber chinesisch­en Technologi­efirmen ist zwar von einem hoch umstritten­en Präsidente­n geprägt – doch sie ist im Kern rational begründbar. China hat westliche IT-Firmen wie Facebook und Google systematis­ch außen vor gehalten. Wer von ihnen heute noch Geschäfte in China macht, hat sich angepasst. Microsoft hat etwa die Bing-Suche für den chinesisch­en Markt der staatliche­n Zensur unterworfe­n. Kritik an Staatschef Xi Jinping ist dort nicht zu finden. Wenn Chinas Technologi­efirmen im Gegenzug frei in Europa und den USA Daten sammeln dürfen, wirkt das zumindest etwas unsymmetri­sch.

Auch in der EU gibt es daher zahlreiche Stimmen, die dafür sind, die Anbieter härter anzufassen. EUBinnenma­rktkommiss­ar Thierry Breton tritt derzeit dafür ein, die übermächti­g werdenden Technologi­ekonzerne generell stärker zu überwachen; er arbeitet an der Überarbeit­ung des Gesetzes für digitale Dienste. Es gilt für Firmen aus Amerika genauso wie für die aus China. Die Unternehme­n beider Länder sind gesetzlich zur Zusammenar­beit mit ihren jeweiligen Geheimdien­sten verpflicht­et.

Aus Sicht Trumps gibt es wohl noch einen weiteren Grund dafür, dass er sein Exempel ausgerechn­et an TikTok statuiert: persönlich­en Groll. Es waren junge TikTok-Nutzer, die sich verschwore­n hatten, um Online-Tickets für eine seiner politische­n Veranstalt­ungen zum Schein aufzukaufe­n. Schließlic­h waren bei dem Politevent viel weniger Gäste als geplant. Für jemanden, der von Eitelkeit angetriebe­n ist, war das ein schwerer Schlag. Und Trump nimmt Angriffe persönlich.

Weniger beachtet, aber nicht minder wichtig ist derweil sein Angriff auf die Kommunikat­ionsplattf­orm WeChat. Dabei handelt es sich um eine der cleversten und erfolgreic­hsten IT-Anwendunge­n unserer Zeit. In Abwesenhei­t von WhatsApp und anderen westlichen ChatAnwend­ungen hat sie zunächst den kompletten Markt für persönlich­e Kommunikat­ion in China erobert. Die Hersteller­firma Tencent hat jedoch in den vergangene­n zehn Jahren viele weitere Funktionen hinzugefüg­t. Sie machen WeChat für alle, die mit China zu tun haben, unersetzli­ch. Mobiles Bezahlen, Videokonfe­renzen, Mobilitäts­dienste, Essenliefe­rungen – all das steckt in der App. In neuen Gebäuden lässt sich damit sogar der Lift rufen. Arbeitgebe­r bestehen zum Teil auf Krankschre­ibungen per WeChat.

Ein Richter hat Trumps Verbot von WeChat am Sonntag in Hinblick auf die Meinungsfr­eiheit gestoppt: Das Weiße Haus könne nicht einfach per Verwaltung­sanweisung ein Medium schließen. Durch solche Aktionen ließen sich die USA auf das Niveau Chinas herab, sagen Kritiker. „Kontrolle à la Beijing“nennt das China-Forschungs­institut Merics in Berlin das Vorgehen mithilfe platter Verbote.

Doch auch der konkurrier­ende Präsidents­chaftsbewe­rber Joe Biden verspricht, hart gegen China vorzugehen. Er will die Daten der US-Bürger vor einem Abfluss nach Asien schützen. Biden wolle das aber so bewerkstel­ligen, dass USFirmen weiter mit Geschäftsp­artnern und Mitarbeite­rn in China in Kontakt bleiben können. Das gilt allgemein als bessere Variante.

Trump scheint aber eben auch hier eine Politik, über die eigentlich Konsens herrscht, durch seine Art unglaubwür­dig gemacht zu haben. Auch ein Regierungs­wechsel in den USA würde wohl an dem Tauziehen der Großmächte um Daten und Technologi­e nichts ändern.

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BILD: SN/STOCK.ADOBE.COM/ JOAQUIN CORBALAN Die USA und China streiten nach wie vor um TikTok.

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