Vor der Kamera den Vatermord vergeben
Die iranische Satire „Yalda“ist ein drastisches Kammerspiel zwischen Publikumsgunst und Todesstrafe – mit realem Vorbild.
WIEN. Ein letzter guter Rat noch: „Lass sie sehen, dass du leidest!“, noch einmal das Kopftuch zurechtgezupft, und ab geht’s vor die Kameras. Die iranische Satire „Yalda“handelt von einer Talkshow, die wie schlecht erfunden klingt: In der wöchentlichen Sendung „Freude der Vergebung“bitten da Menschen, die aufgrund eines Mordes oder eines Totschlags zum Tod verurteilt wurden, die Hinterbliebenen des Opfers um Vergebung. Stimmen die Hinterbliebenen zu, wird ein Blutgeld fällig, das die Täterin oder der Täter zahlen muss, um sich vom Galgen freizukaufen.
Im Film „Yalda“von Massoud Bakhshi ist die 23-jährige Maryam die zum Tode Verurteilte. Sie hat, zu diesem Zeitpunkt schwanger, ihren um 42 Jahre älteren Ehemann getötet, offenbar ohne Vorsatz. Maryam bittet nun in der TV-Show Nassers erwachsene Tochter Mona um Vergebung. Eigentlich will Maryam nicht mehr leben, denn ihr Kind war damals nicht lebendig zur Welt gekommen, doch ihre Mutter hat sie überredet. Die Show findet am Abend des Yalda-Fests statt, das zur Wintersonnenwende für Neubeginn steht. Niemand will in der Nacht eine Tragödie sehen, es muss also gut ausgehen. Aber dann wird es kompliziert – denn nicht alle Beteiligten spielen mit offenen Karten.
„Yalda“schildert diesen Abend in neunzig Minuten und damit praktisch in Echtzeit. Der größte Teil der Handlung findet im TV-Studio vor und hinter den Kulissen statt. Im Format des Beinahe-Kammerspiels entwickelt sich großer Reiz aus der Überspanntheit einer Medienwelt, in der muslimische Traditionen auf die westlich geprägte Dramaturgie der Live-Talkshow treffen. Die Show, die Massoud Bakhshi für den Film inszeniert, hat ein reales Vorbild, das erst vor zwei Jahren abgesetzt wurde: Im Iran gab es tatsächlich eine Sendung mit Millionenpublikum, deren Konzept darauf beruhte, dass nach iranischem Recht die Familie eines Opfers eine gerichtliche Strafe durch Vergebung abschwächen oder aufheben kann.
Bakhshi übt mit seinem Film unter anderem Kritik an der Institution
der Zeitehe, die unverheirateten Frauen vordergründig Ehrbarkeit zusichert, sie tatsächlich aber in eine wirtschaftliche Abhängigkeit bringen kann.
Was jedoch als Mediensatire beginnt, die Macht- und Geschlechterverhältnisse im Iran aufs Korn nimmt, wird durch immer neue unerhörte Enthüllungen mehr und mehr zur Telenovela. Bis zuletzt bemüht sich zumindest die gesamte Crew der Sendung vor und hinter den Kulissen, der verzagten Maryam zu Vergebung zu verhelfen. Möge diese Nacht für alle gut ausgehen, inschallah.
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