Salzburger Nachrichten

Vor der Kamera den Vatermord vergeben

Die iranische Satire „Yalda“ist ein drastische­s Kammerspie­l zwischen Publikumsg­unst und Todesstraf­e – mit realem Vorbild.

- Yalda. Satire, F, D u. a. 2019. Regie: Massoud Bakhshi. Mit Sadaf Asgari, Behnaz Jafari. Start: 25.9.

WIEN. Ein letzter guter Rat noch: „Lass sie sehen, dass du leidest!“, noch einmal das Kopftuch zurechtgez­upft, und ab geht’s vor die Kameras. Die iranische Satire „Yalda“handelt von einer Talkshow, die wie schlecht erfunden klingt: In der wöchentlic­hen Sendung „Freude der Vergebung“bitten da Menschen, die aufgrund eines Mordes oder eines Totschlags zum Tod verurteilt wurden, die Hinterblie­benen des Opfers um Vergebung. Stimmen die Hinterblie­benen zu, wird ein Blutgeld fällig, das die Täterin oder der Täter zahlen muss, um sich vom Galgen freizukauf­en.

Im Film „Yalda“von Massoud Bakhshi ist die 23-jährige Maryam die zum Tode Verurteilt­e. Sie hat, zu diesem Zeitpunkt schwanger, ihren um 42 Jahre älteren Ehemann getötet, offenbar ohne Vorsatz. Maryam bittet nun in der TV-Show Nassers erwachsene Tochter Mona um Vergebung. Eigentlich will Maryam nicht mehr leben, denn ihr Kind war damals nicht lebendig zur Welt gekommen, doch ihre Mutter hat sie überredet. Die Show findet am Abend des Yalda-Fests statt, das zur Wintersonn­enwende für Neubeginn steht. Niemand will in der Nacht eine Tragödie sehen, es muss also gut ausgehen. Aber dann wird es komplizier­t – denn nicht alle Beteiligte­n spielen mit offenen Karten.

„Yalda“schildert diesen Abend in neunzig Minuten und damit praktisch in Echtzeit. Der größte Teil der Handlung findet im TV-Studio vor und hinter den Kulissen statt. Im Format des Beinahe-Kammerspie­ls entwickelt sich großer Reiz aus der Überspannt­heit einer Medienwelt, in der muslimisch­e Traditione­n auf die westlich geprägte Dramaturgi­e der Live-Talkshow treffen. Die Show, die Massoud Bakhshi für den Film inszeniert, hat ein reales Vorbild, das erst vor zwei Jahren abgesetzt wurde: Im Iran gab es tatsächlic­h eine Sendung mit Millionenp­ublikum, deren Konzept darauf beruhte, dass nach iranischem Recht die Familie eines Opfers eine gerichtlic­he Strafe durch Vergebung abschwäche­n oder aufheben kann.

Bakhshi übt mit seinem Film unter anderem Kritik an der Institutio­n

der Zeitehe, die unverheira­teten Frauen vordergrün­dig Ehrbarkeit zusichert, sie tatsächlic­h aber in eine wirtschaft­liche Abhängigke­it bringen kann.

Was jedoch als Mediensati­re beginnt, die Macht- und Geschlecht­erverhältn­isse im Iran aufs Korn nimmt, wird durch immer neue unerhörte Enthüllung­en mehr und mehr zur Telenovela. Bis zuletzt bemüht sich zumindest die gesamte Crew der Sendung vor und hinter den Kulissen, der verzagten Maryam zu Vergebung zu verhelfen. Möge diese Nacht für alle gut ausgehen, inschallah.

Film:

 ?? BILD: SN/JBO PRODUCTION/ SOMAYE JAFARI ?? Vergebung als Medienspek­takel: die iranische Satire „Yalda“.
BILD: SN/JBO PRODUCTION/ SOMAYE JAFARI Vergebung als Medienspek­takel: die iranische Satire „Yalda“.

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