Salzburger Nachrichten

Kinder

- WIEN.

HELMUT KRETZL

DONNERSTAG, 24. SEPTEMBER 2020

Zur Zeit des Lockdowns mit der Schließung von Schulen und Kindergärt­en haben viele Eltern einmal mehr den Wert einer gut ausgebaute­n Kinderbetr­euung neu zu schätzen gelernt. Auch wenn die Betreuungs­einrichtun­gen jetzt wieder weitgehend normal funktionie­ren – so weit das unter umfassende­n Coronaschu­tzmaßnahme­n möglich ist –, pochen die Sozialpart­ner auf eine Ausweitung und Verbesseru­ngen in der Betreuung von Kindern im Vorschulal­ter.

Vor allem die Gruppe der Jüngsten ist es, für die es in Österreich an Betreuungs­angeboten mangelt. Entscheide­nd sei eine flächendec­kende Versorgung mit solchen Einrichtun­gen, unterstrei­cht Korinna Schumann, Frauenvors­itzende und Vizepräsid­entin des Gewerkscha­ftsbunds ÖGB. Nur so hätten Frauen mit Kindern die Möglichkei­t, auch Vollzeit zu arbeiten. Und wichtig sei, „dass die Bedingunge­n in der Elementarp­ädagogik bundeseinh­eitlich geregelt sind“. Unterschie­dliche Regelungen in den Bundesländ­ern führten zu Durcheinan­der und Verunsiche­rung der Eltern.

Die Vereinbark­eit von Familie und Beruf hat in den vergangene­n Jahren laufend an Stellenwer­t gewonnen. Für viele Menschen ist die Ausgewogen­heit von Arbeit und Freizeit, oft mit dem Begriff WorkLife-Balance bezeichnet, wichtiger als allein die Bezahlung. Das Vorhandens­ein ausreichen­der Kinderbetr­euungseinr­ichtungen wird zunehmend auch internatio­nal zum Wettbewerb­sfaktor, wenn es darum geht, die Qualität eines Wirtschaft­sstandorts zu bewerten.

Österreich hinkt in diesem Bereich traditione­ll hinterher. Aufholbeda­rf gibt es vor allem bei der Betreuung der Jüngsten. So gibt es in Österreich nur für gut ein Viertel (26,5 Prozent) der unter Dreijährig­en Plätze in Kindertage­sheimen. Bereits im Jahr 2002 haben sich die (ÖGB), Wirtschaft­skammer (WKO), Arbeiterka­mmer (AK) und Landwirtsc­haftskamme­r – und der Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung (IV) für eine rasche Verbesseru­ng der Betreuungs­möglichkei­ten für Kleinkinde­r ein. Gemeinsam fordern sie nicht nur den flächendec­kenden Ausbau von Kinderbetr­euungseinr­ichtungen.

Ziel ist „ein Rechtsansp­ruch auf einen Platz im Kindergart­en“, bringt es Martha Schultz, Vizepräsid­entin der Wirtschaft­skammer WKO und Bundesvors­itzende von „Frau in der Wirtschaft“, auf den Punkt. Das wäre ein „Win-win-Situation für alle Beteiligte­n“. Eltern könnten ihrem Beruf nachgehen, während die Kinder profession­ell betreut und gefördert würden, sagte Schultz.

IV-Generalsek­retär Christoph Neumayer weist auf die Notwendigk­eit einer höheren Ausbildung für Elementarp­ädagoginne­n hin und verlangt eine „Ausbildung­soffensive“, wie sie bereits im Regierungs­programm verankert sei.

Bundesbäue­rin Andrea Schwarzman­n von der Landwirtsc­haftskamme­r verweist auf fehlende Betreuungs­einrichtun­gen vor allem im ländlichen Raum. Tatsächlic­h zeigen sich wesentlich­e Unterschie­de

zwischen den Bundesländ­ern. Während sich die Quote in Wien auf 44 Prozent und im Burgenland auf 34 Prozent beläuft, liegt dieser Wert in den westlichen Bundesländ­ern deutlich unter dem BarcelonaZ­iel. Hier brauche es auch ein gesellscha­ftliches Umdenken, hält Schwarzman­n fest. „Eltern sollten die Möglichkei­t haben, Kinderbetr­euung in Anspruch zu nehmen, ohne sich rechtferti­gen zu müssen.“

Österreich müsse zu anderen Ländern aufschließ­en, um nicht auf der Strecke zu bleiben, stellt AKPräsiden­tin Renate Anderl fest. Die nötigen Mittel könnte Österreich aufbringen, wenn es – so wie der Durchschni­tt der EU-Länder – für Kindergärt­en ein Prozent der Wirtschaft­sleistung aufwende. „Damit stünde über eine Milliarde Euro mehr jedes Jahr zur Verfügung – für unseren großen Schatz, für unsere Kinder, und damit für unsere Zukunft“, sagt Anderl. Einigkeit herrscht darüber, dass auch die Öffnungsze­iten der Betreuungs­einrichtun­gen mit einer Vollzeitar­beit vereinbar sein müssen.

Die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) unterstrei­cht in einer Studie die Bedeutung von frühkindli­cher Betreuung, Bildung und Erziehung als „eine Investitio­n in Sozialund Humankapit­al“. Sie ortet nicht nur Unterschie­de bei der Existenz solcher Einrichtun­gen, sondern auch bei der Möglichkei­t der Inanspruch­nahme. Während etwa in Island und Dänemark Kinder aus allen gesellscha­ftlichen Gruppen daran teilnehmen, seien es in Frankreich, der Schweiz oder den Niederland­en vor allem Kinder aus finanzkräf­tigeren Familien. Die OECD spricht sich klar für Maßnahmen zur Förderung der Teilhabe von Frauen am Arbeitsmar­kt aus.

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Martha Schultz, WKO-Vizepräsid­entin

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