Hilfsmöglichkeiten annehmen
Die, soweit möglich, tägliche Lektüre der SN mit ihren qualifizierten und differenzierten Beiträgen ist mir immer eine große Freude und Bereicherung! Oft juckt mich dabei ein Kommentar, so auch vor ein paar Tagen anlässlich Ihres Beitrags über den tragischen Tod eines achtjährigen Mädchens, verursacht aller Wahrscheinlichkeit durch ihre offenbar psychisch erkrankte Mutter (11. 9. 2020):
Als Ärztin der psychiatrischen Abteilung des KSK Schwarzach, aber auch als selbst in der Vergangenheit an einer Depression erkrankte (leider) alleinerziehende Mutter einer Tochter, möchte ich gerne eine Rückmeldung zu diesem überaus tragischen, weil bei entsprechender Behandlung möglicherweise gut vermeidbaren Geschehen geben.
Psychische Erkrankungen sind längst keine seltene Ausnahme. Ich glaube, etwa jeder dritte Mensch erkrankt hierzulande mindestens einmal in seinem Leben daran. Die Palette ist breit, angefangen von sog. Anpassungsstörungen, Burnout
oder Depressionen über bipolare (manisch-depressive) Störungen, Suchterkrankungen bis hin zu Psychosen oder Schizophrenien.
Bei allen diesen Erkrankungen, die das Alltagsleben massiv beeinträchtigen, wenn nicht sogar gänzlich lahmlegen können, ist durch eine entsprechende fachliche Behandlung – zumeist in Form einer Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Intervention – eine zumindest wesentliche Besserung, wenn nicht sogar Heilung möglich.
Leider werden psychische im Gegensatz zu körperlichen Erkrankungen von den davon Betroffenen jedoch immer noch häufig als „Makel“oder „persönliches Versagen“empfunden, obwohl sich diesbezüglich ein langsames Umdenken in unserer Gesellschaft zu vollziehen scheint.
Nicht nur die weitverbreiteten Depressionen, auch eine Reihe weiterer psychischer Erkrankungen können unbehandelt in Situationen führen, die der/dem Betroffenen immer auswegloser erscheinen. Der Blick in die Welt verengt sich zu einem dunklen Tunnel, die Zukunft erscheint nicht mehr lebbar und im allerschlimmsten Fall kann auch die Verantwortung für ein geliebtes Kind nicht mehr übernommen werden, was in einem sog. „erweiterten Suizid“gipfeln kann.
Ich möchte daher sowohl an Betroffene, aber auch an deren Umfeld ganz dringlich appellieren, die Augen nicht resigniert bzw. aus gut gemeinter Zurückhaltung vor den vielfältigen ambulanten und wenn nötig auch stationären Hilfsmöglichkeiten zu verschließen.
Dr. Dorothea Reingruber