Vom Recht zu sterben
Sollen die Beihilfe zum Suizid und aktive Sterbehilfe straffrei werden? Warum das Höchstgericht diese schwierigen Fragen klären muss.
Die letzten Worte, die Thomas Thaa von seiner 70-jährigen Frau zu hören bekam, waren: „Du, aus. Jetzt geht’s nicht mehr.“Knapp zwei Jahre lang hatte der Bauchspeicheldrüsenkrebs in ihrem Körper gewütet, bevor sie sich mit dem Revolver ihres Mannes das Leben nahm. Thomas Thaa wird wenig später verurteilt, wegen Beihilfe zum Suizid. Das war 2018. Zwei Jahre später wird das Schicksal des niederösterreichischen Ehepaars noch einmal aufgerollt. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) beschäftigt sich am Donnerstag in einer mündlichen Verhandlung mit einer der schwierigsten gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit: Darf man einem Menschen dabei helfen, sein Leben zu beenden?
Denn die aktuelle Gesetzeslage sieht so aus: Nach den Paragrafen 77 und 78 des Strafgesetzbuchs sind aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) sowie Mitwirkung am Suizid verboten. Beides ist mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Der 76-jährige Thomas
Thaa wurde zu zehn Monaten bedingter Freiheitsstrafe verurteilt, weil er den angekündigten Suizid seiner Frau nicht verhindert hatte und seine Waffe verwendet worden war. Auch wenn seine Frau davor bei der Polizei angerufen hatte, um ihren Mann zu entlasten. Ins Gefängnis musste Thaa nicht, trotzdem empfindet er die Strafe als ungerecht. „Welcher Richter kann verurteilen, dass sich meine Frau das Leben genommen hat? Welcher Richter kann die Verantwortung übernehmen, dass sie sich sonst hätte weiterquälen müssen?“, fragt er. Deshalb ist Thaa zum Verfassungsgerichtshof gegangen. Gemeinsam mit zwei Schwerkranken und einem Arzt brachte der Niederösterreicher das Thema Sterbehilfe vor das Höchstgericht.
Vertreten werden sie vom Anwalt und Ex-Neos-Politiker Wolfram Proksch. Er ist auch im Beirat der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende. Mit der Unterstützung durch den Schweizer Sterbehilfeverein Dignitas hat Proksch vier Personen zu einem gemeinsamen Antrag an den Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zusammengebracht.
Das Hauptargument der Antragsteller: Die Strafbestimmungen leisten keinen Beitrag zum Schutz des Lebens oder der Suizidprävention. Durch die aktuelle Rechtslage würden leidende Menschen gezwungen, entweder entwürdigende Verhältnisse zu erdulden, sich selbst das Leben zu nehmen oder – unter Strafandrohung für Helfer – ins Ausland zu fahren, um aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
„Einer der betroffenen Antragsteller würde sogar ins Ausland fahren, um die Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt Anwalt Wolfram Proksch. Der Sterbewillige leide an unheilbaren Krankheiten und wäre wie viele andere Betroffen auch bei der Reise auf Hilfe angewiesen. „Das Problem: Jeder, der ihm dabei hilft, macht sich nach aktueller Gesetzeslage eben strafbar.“
Der Anwalt argumentiert den Wunsch nach einer Legalisierung der Sterbehilfe unter anderem mit dem Recht auf Selbstbestimmung, das im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist. In der Konvention (Artikel 2) ist auch das Recht auf Leben festgeschrieben. Auch damit argumentiert der Jurist.
Denn laut Proksch kann der Artikel nicht so weit gehen, dass der Staat das Leben auch gegen den Willen der Betroffenen schützt oder diesen zwingt, einen Suizid zu einem Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem man dazu noch selbst in der Lage ist. Man könne aus dem Grundrecht keine „Pflicht zum Leben im Leid“ablesen. Auch Thaas Frau musste leiden. „Die Schmerzmittel haben nichts mehr geholfen. Sie hatte keine Freude mehr. Es war nicht mehr lebenswert“, sagt Thaa.
Lebenswert. Damit argumentieren auch die Gegner der Sterbehilfe. Die Front der Kritiker ist breit. Kirchenvertreter, Theologen, Philosophen, Psychotherapeuten. Viele fürchten, dass der Wert des Lebens durch die Ermöglichung von Sterbehilfe nur noch daran gemessen wird, ob der Betroffene für die Gesellschaft noch von Nutzen ist oder nicht. Die Ethikerin Susanne Kummer vom Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) schrieb in einem Gastkommentar in der „Kleinen Zeitung“: „Töten ist keine Therapieoption. Steht diese Möglichkeit erst einmal offen, wächst der Druck auf Kranke, ihrer Umgebung das alles zu ersparen.“Peter Stippl ist Präsident des
Berufsverbands der Österreichischen Psychotherapeuten. Er warnt vor gefährlichen Folgen der Debatte. „Wir beobachten schon jetzt, dass die Suizidrate in Österreich mit dem Alter ansteigt“, so Stippl.
„Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben, auch dann nicht, wenn er sich selbst aufgegeben hat“, sagte der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz
Lackner, via Kathpress. Differenzierter äußerste sich der evangelische Bischof Michael Chalupka. Er plädierte für die Beibehaltung des Verbots der aktiven Sterbehilfe, forderte allerdings auch für „dramatische Ausnahmefälle“die Möglichkeit der Straffreiheit. Das hatte 2015 auch schon die österreichische Bioethikkommission vorgeschlagen.
Es geht bei der Verhandlung vor dem Höchstgericht nicht nur um eine juristische Frage, sondern um eine gesellschaftspolitische. Das zeigt sich gerade in jenen Ländern, die die aktive Sterbehilfe ermöglichen.
In den Niederlanden etwa ist der Ethiker Theo Boer, der selbst zehn Jahre lang in einer Sterbehilfekommission tätig war, die über die Rechtmäßigkeit von solchen Fällen entscheidet, zu einem der stärksten Kritiker der aktiven Sterbehilfe geworden. „Ursprünglich wollten wir den Menschen vor einem schrecklichen Sterben bewahren. Inzwischen wollen wir ihn von einem schrecklichen Leben erlösen“, sagte Boer, nachdem in Deutschland 2019 das Verbot der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“aufgehoben wurde. „Erhalten wollen wir nur noch, was autonom ist, genießen kann, etwas zur Wirtschaft beitragen kann und was gesund ist. Alles, was dem nicht entspricht, gerät in eine Gefahrenzone“, so Boer.
Autonom. So möchte auch der 76-jährige Thomas Thaa leben. Und sterben. „Wenn nötig mit fremder Hilfe“, sagt er. „Ohne dass es unrecht ist.“
„Der Staat kann das Leben nicht gegen den Willen des Betroffenen schützen.“
Wolfram Proksch, Anwalt
„Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben, auch dann nicht, wenn er sich selbst aufgegeben hat.“
Franz Lackner, Erzbischof