Konkurrenz von der Nichte
Frankreichs Rechte profitieren nicht von der Krise – stattdessen bekriegen sie einander.
PARIS. Nicht jede Krise bringt auch Krisengewinnler hervor – das lässt sich derzeit auf der politischen Bühne in Frankreich beobachten. 62 Prozent der Franzosen geben in Umfragen an, in Bezug auf den Umgang mit der Coronapandemie kein Vertrauen in die Regierung zu haben. Doch fast die Hälfte der Menschen sieht auch keine bessere Alternative am Horizont. Die politische Opposition profitiert kaum von der aktuellen Stimmung.
Das gilt auch für die selbst ernannte „Oppositionspartei Nummer eins“, die rechtsnationale Rassemblement National (RN). Die Vorsitzende Marine Le Pen, die die einstige Front National nach dem Scheitern bei der Präsidentschaftswahl 2017 umbenannt hat, trifft zwar einen Nerv der Menschen, wenn sie eine chaotische Kommunikation der Regierung vor allem zu Beginn der Pandemie bemängelt. Doch sie hat selbst die Gefährlichkeit des Virus zunächst heruntergespielt und stets auf konstruktive Vorschläge verzichtet.
Beim Parteitag nach der Sommerpause in der RN-Bastion Fréjus an der Côte d’Azur machte die Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen kein Hehl daraus, dass sie sich bereits auf die Präsidentschaftswahl im Mai 2022 vorbereitet. Einen Sieg der Rechtspopulistin hält aber nicht nur eine Mehrheit der Franzosen für unwahrscheinlich oder gar unmöglich – auch Le Pens Kritiker aus den eigenen Reihen zweifeln an der Eignung der Rechtspopulistin.
Immer mehr Stimmen kritisieren ihre politische Linie, sich „weder links noch rechts“zu positionieren, und fordern stattdessen, sich dem rechten Flügel der konservativen Republikaner zu öffnen, um überhaupt Gewinnchancen zu haben.
Die bekannteste dieser Stimmen gehört Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal, die ihren früheren Namenszusatz Le Pen abgelegt hat. „Ich werde nicht so tun, als sähe ich nicht, was jeder sieht“, sagte Maréchal nun in einem TV-Interview. Es sei offensichtlich, dass die Rechtspopulisten ohne eine Koalition mit einem Partner nicht gewinnen könnten. Sie selbst, so die 30Jährige, werde 2022 weder kandidieren noch sich in den Dienst eines Kandidaten stellen – auch nicht ihrer Tante. Es war eine Kampfansage.
Wirtschaftspolitisch ist Maréchal liberaler als Marine Le Pen, die die Rückkehr zur Pension mit 60 und eine massive Anhebung des Mindestlohns verspricht. Gesellschaftspolitisch gilt Maréchal, die sich lautstark gegen die Ehe für alle einsetzte, als erzkonservativ.
Nachdem sie im Alter von 20 Jahren erstmals bei Regionalwahlen gewählt und mit 22 die bis dahin jüngste Abgeordnete der französischen Nationalversammlung geworden war, zog sie sich 2017 aus der aktiven Politik zurück und gründete eine private Schule für Politik
und Wirtschaft zur Ausbildung einer rechtskonservativen Elite.
Dennoch bleibt Maréchal mit Interviews im Gespräch und sie trat bei einem großen Treffen der USKonservativen auf. Die junge Frau, die ihrem Großvater Jean-Marie Le Pen nahesteht, gilt den Anhängern einer strammen Rechten als Ikone und politische Hoffnung. Marine Le Pen bekommt Konkurrenz, zumal Maréchal ihre Mitgliedschaft bei der RN ausgesetzt hat.
So droht eine Strömung außerhalb der Partei zu entstehen, die die Chefin nicht kontrollieren kann. Dabei versucht sie nichts anderes als das, indem sie die Linie vorgibt und Abweichler abstraft. Nur von den Fehlern der anderen zu profitieren wird Le Pen nicht reichen, solange sie selbst so viele macht.