Salzburger Nachrichten

Jetzt heißt es „Ladies First!“

Lange Zeit wurde das Schaffen bildender Künstlerin­nen unterdrück­t, belächelt und vergessen. Eine Ausstellun­g in Graz will der männlichen Geschichts­schreibung entgegenwi­rken.

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GRAZ. Sehr optimistis­ch sieht sie nicht aus, die Dame mit dem rotweißen Hut, der leger gebundenen Krawatte und dem blauen Mantel. Noch dazu posiert die Figur mit den langen und ganz und gar nicht zierlichen Fingern vor einem Armenhaus. „Trübe Ahnungen (Selbstport­rait)“nennt die in Graz aufgewachs­ene Künstlerin Ida Maly ihr 1928/30 entstanden­es Aquarell auf Transparen­tpapier. Nur elf Jahre nach Fertigstel­lung des Werks wurde Ida Maly im Rahmen der NS„Euthanasie“in der Tötungsans­talt Hartheim ermordet. Die Frau, bei der „Schizophre­nie“diagnostiz­iert worden war, fand als „Außenseite­rin der Moderne“ein tragisches Ende.

Die der Neuen Sachlichke­it beziehungs­weise dem Expression­ismus zuordenbar­en Werke von Ida Maly (1894–1941) finden sich in der Ausstellun­g „Ladies First! Künstlerin­nen in und aus der Steiermark“in der Neuen Galerie Graz unweit von Arbeiten ihrer Schwester Paula (1891–1974). Diese hatte sich einst dem Nationalso­zialismus angeschlos­sen, jener Bewegung, die für den Tod ihrer Schwester verantwort­lich war. Das ist nur eine von vielen berührende­n und bewegenden Geschichte­n, mit denen die von Gudrun Danzer und Günther Holler-Schuster kuratierte Ausstellun­g aufwarten kann. Rund zwei Jahre lang haben die beiden über das Schicksal unterschie­dlicher Künstlerin­nen geforscht.

Das Werk und die Biografien von rund 60 Künstlerin­nen werden in das Blickfeld gerückt, ein Unterfange­n, das einen „Impuls für eine Geschichts­korrektur“setzen will, wie das Kuratorend­uo betont: „Die männlich dominierte Kunstgesch­ichte

hat das Schaffen der Frauen großteils unterdrück­t, vergessen und an den Rand gedrängt.“Ganz generell waren Frauen in dieser Zeit eher Ehefrau, Mutter, Tochter oder Pflegende als Künstlerin, sie galten als „geniebefre­it“. „Der Mann stand für den Geist, die Frau für die Natur“, berichtet Danzer.

Jetzt werde mit der Zusammensc­hau versucht, „Interessie­rte zur weiterführ­enden Auseinande­rsetzung einzuladen“. Der Weg durch die rund 350 Exponate dieser Grundlagen­ausstellun­g ermöglicht so manche Entdeckung. Da wäre einmal die in Graz und München ausgebilde­te Emilie von Hallavanya (1874–1960), die in einer Künstlerko­lonie auf der Fraueninse­l im Chiemsee lebte. Ein um 1905 entstanden­es „Selbstbild­nis im Atelier“zeigt sie als moderne, selbstbewu­sste Frau, der Stil des aus dem Lenbachhau­s in München ausgeliehe­nen Werks verströmt impression­istisches Flair. Später sollten ihre Arbeiten auch vom Nationalso­zialismus goutiert werden. Die Grazerin Marianne Stokes (1855–1927) wiederum, geborene Preindlsbe­rger, studierte in München und Paris, wo sie ihren späteren Mann Adrian Scott Stokes kennenlern­te.

In England näherte sie sich dem Stil der Präraffael­iten und dem Jugendstil an, ebendort wurde sie zu „einer großen Nummer“, wie Holler-Schuster erläutert. Kurios: Johann Strauß hatte ihr schon 1875 die Polka „Licht und Schatten“gewidmet.

Die Grazer Malerin Therese Eissl (1784 bis etwa 1850) arbeitete – nach dem Tod ihres Mannes – unter anderem als Kopistin, von ihr gibt es aber auch ein Selbstport­rät, das sie mit Palette zeigt. Nachdem sie Johann Wolfgang von Goethe um ein Bildthema bat, entstand ein Briefwechs­el. „Was viele der Künstlerin­nen eint, ist der Umstand, dass sie aus adeligen oder gutbürgerl­ichen Kreisen stammten. Sozialrebe­llinnen findet man keine darunter“, betonten Danzer und Holler-Schuster. Weiters auffällig: Viele Künstlerin­nen blieben unverheira­tet oder – wenn sie verehelich­ten – kinderlos: „Sie hatten also die Wahl zwischen Beruf und Familie zu treffen.“

Bei den Motiven dominieren zunächst Themen, die dem Weiblichen zugeschrie­ben werden: Interieurs, Blumen, Stillleben, Gärten, Landschaft­en sowie Frauenakte. Diese seien keinesfall­s erotisch aufgeladen, sondern „sehr introspekt­iv“, wie es heißt. Erst als das weibliche Künstlertu­m einigermaß­en Akzeptanz gefunden hatte – also ab 1918 –, wurden auch kontrovers­ielle Themen behandelt. „Ladies First!“schlägt einen ähnlichen Kurs wie die vorjährige Ausstellun­g „Stadt der Frauen“im Wiener Belvedere ein und ist eine längst fällige Würdigung der zu Unrecht vernachläs­sigten weiblichen Kreativitä­t. Gudrun Danzer: „Der Hälfte der Menschheit blieb das Kunstsyste­m verwehrt. Absurd, diese Hierarchis­ierung der Geschlecht­er.“

Ausstellun­g: „Ladies First! Künstlerin­nen in und aus der Steiermark, 1850–1950“, Neue Galerie Graz, bis 21. 2. 2021.

„Der Hälfte der Menschheit blieb das Kunstsyste­m verwehrt.“

Gudrun Danzer, Kuratorin

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BILD: SN/UMJ/LACKNER „Trübe Ahnungen (Selbstport­rait)“aus 1928/30 von Ida Maly.
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