Sterben an der Hand und nicht durch die Hand
Die Debatte um die Sterbehilfe könnte sich erübrigen. Wir brauchen dazu einen anderen Umgang mit dem Tod. Den scheuen wir.
Das österreichische Strafgesetzbuch kennt derzeit keinen Pardon mit Menschen, die anderen gegenüber Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid leisten. Das eine heißt im Juristendeutsch „Tötung auf Verlangen“und ist im Paragraf 77 festgeschrieben: „Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“Die Mitwirkung am Selbstmord wird im Paragraf 78 geregelt: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“Und damit niemand auf die Idee kommt, eine solche Absicht anderswo zu erfüllen, legt der Paragraf 64 fest, dass die Strafbarkeit auch im Ausland besteht.
Gleich mehrere Betroffene haben nun den Verfassungsgerichtshof angerufen. Sie plädieren für Straffreiheit und argumentieren in erster Linie mit dem Recht des Menschen auf Selbstbestimmung, auch am Ende des Lebens. Die Befürworter der geltenden Regelung berufen sich auf die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte, die in Artikel 2 festlegt, dass „das Recht auf Leben eines jeden unter gesetzlichem Schutz stehen soll“. Niemand soll vorsätzlich seines Lebens beraubt werden.
Warum tun wir uns mit dem Thema so schwer? Wir reden nicht gerne über den Tod, und schon gar nicht über das Sterben. Wir träumen von einem sanften, schmerzfreien, plötzlichen Dahinscheiden.
Der Ethiker und Moraltheologe Günter Virt hat das Sterben einmal als „unsere letzte große Lebensaufgabe“bezeichnet. Doch vor der möchten wir uns am liebsten drücken. Das ist auch verständlich, wenn man miterlebt, unter welchen Umständen Menschen auch sterben: einsam, unverstanden, hilflos und voller Schmerzen.
Mit einer „Genehmigung“der Sterbehilfe ändern wir leider nichts an solchen unwürdigen Umständen, sondern wir blenden sie nur aus und verdrängen sie. Ein Giftbecher soll uns davor bewahren, uns mit dieser großen letzten Lebensaufgabe auseinandersetzen zu müssen.
Den Tagen mehr Leben geben
Unsere Gesellschaft ist stark vom Leistungsprinzip geprägt. Menschen werden nach ihrem Beitrag für das System beurteilt. Viele definieren sich inzwischen auch selbst darüber. Gerade in einer späteren Lebensphase, wenn nichts mehr so gut funktioniert, wie wir es möchten, taucht daher schnell einmal das Gefühl auf, „unnütz“zu sein. Nicht wenige Menschen entwickeln daraus auch die Sorge, ihren Angehörigen, ihren Pflegern und dem Staat zur Last zu fallen. In einer solchen sehr verletzlichen Phase könnte der organisierte, schmerzfreie und von allen Sorgen für immer befreiende Suizid als gangbarer Ausweg erscheinen. Der er aber nicht ist. Denn die betroffenen Menschen stehen unter Druck. Und Druck macht unfrei.
Wir kommen durch das Euthanasie-Thema in eine gefährliche Debatte darüber, unter welchen Umständen ein Leben noch lebenswert ist und wann nicht mehr. Wer soll darüber entscheiden? Und wer kann das? Auf Basis welcher Erkenntnisse?
Wir sollten uns besser darauf konzentrieren, dass der Sterbeprozess so sanft und human wie möglich abläuft.
Erstens: Wir müssen aktiv die Einsamkeit älterer Menschen beseitigen. Das Motto muss lauten: Sterben an der Hand und nicht durch die Hand eines anderen.
Zweitens: Wir müssen dringend die Palliativmedizin ausbauen. Deren Motto ist nicht, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Jeder Mensch hat das Recht darauf, unter einem ärztlichen Schutzmantel schmerzfrei zu sterben. Der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Behandlung muss für alle Menschen offenstehen.
Drittens: Das Sterben im familiären Umfeld muss wieder der Normalund nicht der Ausnahmefall werden. Der Staat muss den Familien dabei helfen.
Viertens: Die exzessive Anwendung von medizinischer Hochtechnologie, die nicht mehr heilen kann, sondern – vielleicht sogar gegen den Willen des Patienten – nur einen schmerzvollen Sterbeprozess hinauszögert, ist zu unterlassen.
Wenn wir uns endlich an diese Punkte halten, erübrigen sich nahezu alle Aspekte in der Debatte um die Sterbehilfe.