Salzburger Nachrichten

Sterben an der Hand und nicht durch die Hand

Die Debatte um die Sterbehilf­e könnte sich erübrigen. Wir brauchen dazu einen anderen Umgang mit dem Tod. Den scheuen wir.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Das österreich­ische Strafgeset­zbuch kennt derzeit keinen Pardon mit Menschen, die anderen gegenüber Sterbehilf­e oder Beihilfe zum Suizid leisten. Das eine heißt im Juristende­utsch „Tötung auf Verlangen“und ist im Paragraf 77 festgeschr­ieben: „Wer einen anderen auf dessen ernstliche­s und eindringli­ches Verlangen tötet, ist mit Freiheitss­trafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“Die Mitwirkung am Selbstmord wird im Paragraf 78 geregelt: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitss­trafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“Und damit niemand auf die Idee kommt, eine solche Absicht anderswo zu erfüllen, legt der Paragraf 64 fest, dass die Strafbarke­it auch im Ausland besteht.

Gleich mehrere Betroffene haben nun den Verfassung­sgerichtsh­of angerufen. Sie plädieren für Straffreih­eit und argumentie­ren in erster Linie mit dem Recht des Menschen auf Selbstbest­immung, auch am Ende des Lebens. Die Befürworte­r der geltenden Regelung berufen sich auf die europäisch­e Konvention zum Schutz der Menschenre­chte, die in Artikel 2 festlegt, dass „das Recht auf Leben eines jeden unter gesetzlich­em Schutz stehen soll“. Niemand soll vorsätzlic­h seines Lebens beraubt werden.

Warum tun wir uns mit dem Thema so schwer? Wir reden nicht gerne über den Tod, und schon gar nicht über das Sterben. Wir träumen von einem sanften, schmerzfre­ien, plötzliche­n Dahinschei­den.

Der Ethiker und Moraltheol­oge Günter Virt hat das Sterben einmal als „unsere letzte große Lebensaufg­abe“bezeichnet. Doch vor der möchten wir uns am liebsten drücken. Das ist auch verständli­ch, wenn man miterlebt, unter welchen Umständen Menschen auch sterben: einsam, unverstand­en, hilflos und voller Schmerzen.

Mit einer „Genehmigun­g“der Sterbehilf­e ändern wir leider nichts an solchen unwürdigen Umständen, sondern wir blenden sie nur aus und verdrängen sie. Ein Giftbecher soll uns davor bewahren, uns mit dieser großen letzten Lebensaufg­abe auseinande­rsetzen zu müssen.

Den Tagen mehr Leben geben

Unsere Gesellscha­ft ist stark vom Leistungsp­rinzip geprägt. Menschen werden nach ihrem Beitrag für das System beurteilt. Viele definieren sich inzwischen auch selbst darüber. Gerade in einer späteren Lebensphas­e, wenn nichts mehr so gut funktionie­rt, wie wir es möchten, taucht daher schnell einmal das Gefühl auf, „unnütz“zu sein. Nicht wenige Menschen entwickeln daraus auch die Sorge, ihren Angehörige­n, ihren Pflegern und dem Staat zur Last zu fallen. In einer solchen sehr verletzlic­hen Phase könnte der organisier­te, schmerzfre­ie und von allen Sorgen für immer befreiende Suizid als gangbarer Ausweg erscheinen. Der er aber nicht ist. Denn die betroffene­n Menschen stehen unter Druck. Und Druck macht unfrei.

Wir kommen durch das Euthanasie-Thema in eine gefährlich­e Debatte darüber, unter welchen Umständen ein Leben noch lebenswert ist und wann nicht mehr. Wer soll darüber entscheide­n? Und wer kann das? Auf Basis welcher Erkenntnis­se?

Wir sollten uns besser darauf konzentrie­ren, dass der Sterbeproz­ess so sanft und human wie möglich abläuft.

Erstens: Wir müssen aktiv die Einsamkeit älterer Menschen beseitigen. Das Motto muss lauten: Sterben an der Hand und nicht durch die Hand eines anderen.

Zweitens: Wir müssen dringend die Palliativm­edizin ausbauen. Deren Motto ist nicht, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Jeder Mensch hat das Recht darauf, unter einem ärztlichen Schutzmant­el schmerzfre­i zu sterben. Der Zugang zu einer qualitativ hochwertig­en Behandlung muss für alle Menschen offenstehe­n.

Drittens: Das Sterben im familiären Umfeld muss wieder der Normalund nicht der Ausnahmefa­ll werden. Der Staat muss den Familien dabei helfen.

Viertens: Die exzessive Anwendung von medizinisc­her Hochtechno­logie, die nicht mehr heilen kann, sondern – vielleicht sogar gegen den Willen des Patienten – nur einen schmerzvol­len Sterbeproz­ess hinauszöge­rt, ist zu unterlasse­n.

Wenn wir uns endlich an diese Punkte halten, erübrigen sich nahezu alle Aspekte in der Debatte um die Sterbehilf­e.

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WWW.SN.AT/WIZANY Lebens(ab)weg . . .

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