Salzburger Nachrichten

Bolivien sucht einen Nachfolger für Evo Morales

In einem der ärmsten Länder Lateinamer­ikas überschatt­et der Klassenhas­s den Wahlkampf.

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LA PAZ. Es war ein Auf und Ab in den vergangene­n Wochen, in den Umfragen wie auf den Straßen. In den Prognosen für die Präsidente­nwahl am Sonntag liegt einmal der linke Kandidat Luis Arce deutlich voran, dann wieder muss er in die Stichwahl gegen den ewigen Bewerber der moderaten Rechten, Carlos Mesa. Die Wahlbeobac­hter in Bolivien registrier­en Wortgefech­te, Scharmütze­l, Prügeleien, Drohungen und Verletzte. Die Troika aus Europäisch­er Union, Vereinten Nationen und katholisch­er Kirche, die zwischen den Lagern vermitteln soll, ist besorgt.

Vor allem die Regierung der rechten Übergangsp­räsidentin Jeanine Áñez und die Partei von Ex-Staatschef Evo Morales, die „Bewegung zum Sozialismu­s“(MAS), überziehen einander mit Beschimpfu­ngen. Die aktuellen Machthaber nennen die MAS-Anhänger „Bestien“und „Terroriste­n“. Morales’ Unterstütz­er finden, die Übergangsr­egierung bestehe aus „Faschisten“und „Putschiste­n“. Bolivien, eines der ärmsten Länder Lateinamer­ikas, ist tief im Klassenhas­s verhaftet: weiße Mittel- und Oberschich­t gegen indigene Mehrheit. Diese Frontstell­ung hat sich während der Amtszeit von Evo Morales, einem Aymara-Ureinwohne­r, von 2006 bis 2019 eher noch verschärft.

Die Lage ist so gespannt wie im Oktober 2019, als Morales’ Wiederwahl von Betrugsvor­würfen überschatt­et wurde. Damals gab es Straßenpro­teste und Auseinande­rsetzungen mit Toten und Verletzen. Schließlic­h trat Morales zurück und ging ins Exil, zunächst nach Mexiko, später nach Argentinie­n. Die für

Mai geplante Neuwahl wurde wegen der Coronapand­emie auf den 18. Oktober verschoben. Mediziner gehen von bis zu 20.000 Toten in dem elf Millionen Einwohner zählenden Land aus.

Nun muss sichergest­ellt werden, dass die Abstimmung kein Supersprea­der-Event wird. In den Wahllokale­n sollen Stifte und Flächen ständig desinfizie­rt werden, der obligatori­sche Farbabdruc­k nach

Stimmabgab­e auf dem Daumen soll mit Wattestäbc­hen aufgetrage­n werden. Die explosive Stimmung zwischen den Lagern der Kontrahent­en mache die Wahl noch unvorherse­hbarer, sagt ein seit vielen Jahren in La Paz ansässiger internatio­naler Experte. Er geht davon aus, dass „keine der beiden Seiten eine Niederlage akzeptiere­n wird“.

Favorit ist Luis Arce, der Kandidat der MAS, der auf vorsichtig­e Distanz zu Morales gegangen ist. Für den ehemaligen Wirtschaft­sund Finanzmini­ster Arce wollen laut jüngster Umfrage 32,4 Prozent stimmen. Carlos Mesa kommt demnach auf 24,5 Prozent. Um das rechte Lager nicht zu spalten, zog die ungeliebte Übergangsp­räsidentin Jeanine Áñez ihre Kandidatur zurück.

Neben Mesa tritt noch der Ultrarecht­e Luis Fernando Camacho aus

Santa Cruz im Tiefland an, dem rund elf Prozent der Stimmen zufallen könnten. Bei einer eventuelle­n Stichwahl hätte das vereinte rechte Lager gute Chancen, den MAS-Bewerber Arce zu schlagen. Die religiös-rechte Áñez-Regierung hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie die MAS dauerhaft von der Macht in Bolivien fernhalten will.

Morales und seine breite Bewegung MAS aus linken und indigenen Kräften standen 13 Jahre lang an der Spitze des Andenstaat­es. In dieser Zeit erlebte Bolivien einen Wirtschaft­sboom und es gelang der Regierung, die Armut zu reduzieren. Allerdings wandelte sich Morales immer mehr zu einem autoritäre­n Herrscher, der nicht von der Macht lassen konnte und das Recht so lang beugte, bis er vergangene­s Jahre noch einmal zur Wahl antreten konnte.

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BILD: SN/AFP Ex-Präsident Evo Morales ist im Exil in Argentinie­n.

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