Als Bambi noch ein Reh war
Was haben Bambi, das berühmteste Reh der Filmgeschichte, und Josefine Mutzenbacher, die berühmteste Wiener Dirne, gemein? Sie werden der Feder Felix Saltens zugesprochen.
WIEN. Ein Wilderer, der im US-Staat Missouri Hunderte Wildtiere geschossen, die Köpfe als Trophäen mitgenommen und die Kadaver liegen gelassen hatte, wurde 2018 zu einem Jahr Haft verurteilt. Die Auflage: Er muss mindestens ein Mal im Monat Walt Disneys Trickfilm „Bambi“anschauen. Dies sollte ihn zur Einsicht bringen.
Der Schöpfer der 1922 entstandenen Buchvorlage war der österreichisch-jüdische Autor Felix Salten. Er galt als „Fürsprecher“und „Dolmetscher“der Tiere. Anlässlich seines 75. Todestags zeigt das WienMuseum in Kooperation mit der Wienbibliothek im Rathaus ab Donnerstag eine umfassende Schau. Zu sehen ist mehr als Bambi, auch wenn Hufspuren auf dem Boden im MUSA die Laufrichtung vorgeben.
Auf Basis von Saltens Nachlass, der sich seit 2015 zum Großteil im Bestand der Wienbibliothek befindet, wird das vielfältige Schaffen des Tausendsassas deutlich. Er war Journalist, Kunstkritiker, Theaterautor und Vertreter des Jung-Wiens. So umgab sich der gebürtige Budapester mit Literaten wie Arthur Schnitzler, Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsthal. Und doch blieb der emigrierte Jude ein Außenseiter. Er kam als Einziger nicht aus großbürgerlichem Haus und musste mit dem Schreiben Geld verdienen. Mit Karl Kraus überwarf er sich, was in einer Ohrfeige samt Bußgeld von 20 Gulden endete.
Mittendrin statt nur dabei – so könnte man Saltens Position im Wiener Kunstzirkel beschreiben. So ist auch der Ausstellungsraum konzipiert. In der Mitte wird das Leben Saltens mittels biografischen Materials erfahrbar gemacht. Ringsum ist sein reiches Netzwerk anhand von Korrespondenzen abgebildet. Kunstwerke wie Gustav Klimts „Pallas Athene“und die „Dame in Gelb“aus der Sammlung des Wien-Museums präsentieren sich samt Saltens blumigen Rezensionen.
Der zweite Teil der Schau befindet sich in der Wienbibliothek, kuratiert von Marcel Atze. Dort sind Saltens Novellen wie die Lebensbeichte der Prostituierten Josefine Mutzenbacher zu sehen. Die Autorschaft des anonym erschienenen
Texts wird Salten zugesprochen, geklärt ist das bis heute nicht. Er habe oft unter Pseudonymen geschrieben, schildert Kuratorin Ursula Storch. So veröffentlichte er seine Klatschkolumnen über die Habsburger als „Sascha“und schuf Libretti für Operetten. „Salten war ein Sprachchamäleon“, sagt Storch.
Den größten Erfolg feierte er mit den Tierromanen. Für den „BambiIrrtum“war Salten, selbst Jäger, aber nicht verantwortlich. Entgegen der Buchvorlage zeigt Disney im 1942 entstandenen Klassiker die tierische Hauptfigur und ihre Familie als Weißwedelhirsche. Ein Übersetzungsfehler in der deutschen Synchronisation macht aus Bambi und seiner Mutter Rehe, der Vater bleibt ein Hirsch. Dem Ruhm des Films tat dieser Fauxpas aber keinen Abbruch. Oscarnominiert zählt „Bambi“zu den erfolgreichsten Disneyfilmen. Salten profitierte davon kaum. Er trat die Rechte für bescheidene 1000 Dollar ab.
Ein Blick in seinen Taschenkalender offenbart eine historisch brisante Chronik. So hielt Salten am 20. Februar 1938 fest: „HitlerRede von halb 2 bis 4. Sorge arg gesteigert.“Nach dem Anschluss durften die Werke des jüdischen Autors nicht mehr erscheinen, am 26. April notierte er „fristlos entlassen!“, drei Tage später „Steuerpfändung“. Er ging zu seiner Tochter ins Schweizer Exil, unter der Bedingung, nicht journalistisch tätig zu sein. Dort starb Salten 75-jährig im Herbst nach Kriegsende 1945.
Sein Schaffen war vielfältig und doch ist er nahezu unbekannt. Ursula Storch erklärt sich das so: „Salten hat alles gemacht, womit man schreibend Geld verdienen konnte. Er musste einen Markt bedienen.“Die Werke entsprächen daher den Moden der Zeit und hätten sich darüber hinaus nicht gehalten. „Doch es ist Zeit, den Wienern diesen Wiener näherzubringen“, sagt Storch. „Salten hatte viele Facetten, die es wert sind, gezeigt zu werden.“