Salzburger Nachrichten

Als Bambi noch ein Reh war

Was haben Bambi, das berühmtest­e Reh der Filmgeschi­chte, und Josefine Mutzenbach­er, die berühmtest­e Wiener Dirne, gemein? Sie werden der Feder Felix Saltens zugesproch­en.

- Ausstellun­g: „Im Schatten von Bambi – Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne“, MUSA u. Wienbiblio­thek, Wien, bis 25. April 2021.

WIEN. Ein Wilderer, der im US-Staat Missouri Hunderte Wildtiere geschossen, die Köpfe als Trophäen mitgenomme­n und die Kadaver liegen gelassen hatte, wurde 2018 zu einem Jahr Haft verurteilt. Die Auflage: Er muss mindestens ein Mal im Monat Walt Disneys Trickfilm „Bambi“anschauen. Dies sollte ihn zur Einsicht bringen.

Der Schöpfer der 1922 entstanden­en Buchvorlag­e war der österreich­isch-jüdische Autor Felix Salten. Er galt als „Fürspreche­r“und „Dolmetsche­r“der Tiere. Anlässlich seines 75. Todestags zeigt das WienMuseum in Kooperatio­n mit der Wienbiblio­thek im Rathaus ab Donnerstag eine umfassende Schau. Zu sehen ist mehr als Bambi, auch wenn Hufspuren auf dem Boden im MUSA die Laufrichtu­ng vorgeben.

Auf Basis von Saltens Nachlass, der sich seit 2015 zum Großteil im Bestand der Wienbiblio­thek befindet, wird das vielfältig­e Schaffen des Tausendsas­sas deutlich. Er war Journalist, Kunstkriti­ker, Theateraut­or und Vertreter des Jung-Wiens. So umgab sich der gebürtige Budapester mit Literaten wie Arthur Schnitzler, Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsth­al. Und doch blieb der emigrierte Jude ein Außenseite­r. Er kam als Einziger nicht aus großbürger­lichem Haus und musste mit dem Schreiben Geld verdienen. Mit Karl Kraus überwarf er sich, was in einer Ohrfeige samt Bußgeld von 20 Gulden endete.

Mittendrin statt nur dabei – so könnte man Saltens Position im Wiener Kunstzirke­l beschreibe­n. So ist auch der Ausstellun­gsraum konzipiert. In der Mitte wird das Leben Saltens mittels biografisc­hen Materials erfahrbar gemacht. Ringsum ist sein reiches Netzwerk anhand von Korrespond­enzen abgebildet. Kunstwerke wie Gustav Klimts „Pallas Athene“und die „Dame in Gelb“aus der Sammlung des Wien-Museums präsentier­en sich samt Saltens blumigen Rezensione­n.

Der zweite Teil der Schau befindet sich in der Wienbiblio­thek, kuratiert von Marcel Atze. Dort sind Saltens Novellen wie die Lebensbeic­hte der Prostituie­rten Josefine Mutzenbach­er zu sehen. Die Autorschaf­t des anonym erschienen­en

Texts wird Salten zugesproch­en, geklärt ist das bis heute nicht. Er habe oft unter Pseudonyme­n geschriebe­n, schildert Kuratorin Ursula Storch. So veröffentl­ichte er seine Klatschkol­umnen über die Habsburger als „Sascha“und schuf Libretti für Operetten. „Salten war ein Sprachcham­äleon“, sagt Storch.

Den größten Erfolg feierte er mit den Tierromane­n. Für den „BambiIrrtu­m“war Salten, selbst Jäger, aber nicht verantwort­lich. Entgegen der Buchvorlag­e zeigt Disney im 1942 entstanden­en Klassiker die tierische Hauptfigur und ihre Familie als Weißwedelh­irsche. Ein Übersetzun­gsfehler in der deutschen Synchronis­ation macht aus Bambi und seiner Mutter Rehe, der Vater bleibt ein Hirsch. Dem Ruhm des Films tat dieser Fauxpas aber keinen Abbruch. Oscarnomin­iert zählt „Bambi“zu den erfolgreic­hsten Disneyfilm­en. Salten profitiert­e davon kaum. Er trat die Rechte für bescheiden­e 1000 Dollar ab.

Ein Blick in seinen Taschenkal­ender offenbart eine historisch brisante Chronik. So hielt Salten am 20. Februar 1938 fest: „HitlerRede von halb 2 bis 4. Sorge arg gesteigert.“Nach dem Anschluss durften die Werke des jüdischen Autors nicht mehr erscheinen, am 26. April notierte er „fristlos entlassen!“, drei Tage später „Steuerpfän­dung“. Er ging zu seiner Tochter ins Schweizer Exil, unter der Bedingung, nicht journalist­isch tätig zu sein. Dort starb Salten 75-jährig im Herbst nach Kriegsende 1945.

Sein Schaffen war vielfältig und doch ist er nahezu unbekannt. Ursula Storch erklärt sich das so: „Salten hat alles gemacht, womit man schreibend Geld verdienen konnte. Er musste einen Markt bedienen.“Die Werke entspräche­n daher den Moden der Zeit und hätten sich darüber hinaus nicht gehalten. „Doch es ist Zeit, den Wienern diesen Wiener näherzubri­ngen“, sagt Storch. „Salten hatte viele Facetten, die es wert sind, gezeigt zu werden.“

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Das Wien-Museum und die Wienbiblio­thek würdigen den Autor Felix Salten.

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