Die Frau im Schatten
„The Assistant“setzt sich als erster Spielfilm mit dem Weinstein-Skandal auseinander – ohne je Harvey Weinstein zu nennen.
WIEN. Sie ist die, die immer anwesend sein muss und immer unsichtbar. Sie räumt den Dreck weg und den vergessenen Ohrring, arrangiert Termine und bestätigt Limousinen, besänftigt die ungeduldige Ehefrau und, falls nötig, auch ein grantiges Kind. Und wenn ihr Bedenken kommen, hat sie die runterzuschlucken: In „The Assistant“spielt Julia Garner (bekannt aus der Serie „Ozark“) eine Frau, die einem mächtigen Filmproduzenten den Alltag organisiert. Regisseurin Kitty Green hat ihren Film als direkte Reaktion auf die Zeugenberichte jener Frauen geschrieben, die unter Harvey Weinsteins sexuellen Übergriffen gelitten haben – und zeichnet in ihrem ersten Spielfilm das Bild eines Systems, in dem Verschweigen, Wegschauen und Dulden den Missbrauch erst ermöglichen.
SN: Sie haben mit vielen Leuten gesprochen bei der Recherche, oder?
Kitty Green: Ja, mit an die hundert Leuten. Ich war eigentlich mitten in der Recherche für einen Film über sexuelle Übergriffe auf amerikanischen College-Campussen, und genau da ist die Weinstein-Geschichte losgebrochen. Ein paar meiner Freundinnen haben bei der Weinstein Company gearbeitet, und sie haben mir erzählt, wie das Arbeitsumfeld das Verhalten eines solchen Täters deckt. Ich habe begonnen, über die Filmbranche hinaus mit Frauen zu sprechen, die von ähnlichen Erfahrungen berichtet haben: bei Finanzunternehmen, Technologieunternehmen, in Los Angeles, Melbourne, New York, London. Egal wo, ich hab immer wieder dieselben Geschichten von derselben Art von Verhalten gehört.
SN: Warum haben Sie sich entschieden, dass wir ihn selbst nie kennenlernen im Film?
Ich finde, wir haben schon genug Filme über böse Männer. Wie können wir Frauen ins Zentrum dieser Erzählung rücken? Das wurde mein Ziel. Ich wusste, dass wir seine Macht über alle in diesem Arbeitsumfeld fühlen müssen. Es gibt da viele Momente, die das ergeben – letztlich wie beim Hai in „Der weiße
Hai“, sodass man ihn spürt durch die Reaktion auf ihn, aber fast nie sieht.
Ich wollte nicht das Verhalten eines Täters erzählen, das wäre ein ganz anderer Film.
SN: Wie Sie die Arbeit der Assistentin zeigen, verdeutlicht, dass es sich um klassische Sorgearbeit handelt, die üblicherweise von Frauen getan wird und von niedrigem Ansehen ist, wie Putzen und Kinderpflege.
Viele Frauen haben mir erzählt, dass es – obwohl sie dieselbe Art von Position haben wie ihre männlichen Kollegen – von ihnen erwartet wird, dass sie die sogenannte Frauenarbeit machen wie Kaffeekochen, Kinderbetreuen, mit der Ehefrau kommunizieren. Das wurde Teil des Jobs, und damit waren sie aus Zeitgründen wiederum von wichtigen Meetings ausgeschlossen, die für einen Karrierefortschritt notwendig wären. So hat das auch ihre Karrierewege behindert, das wollte ich auch im Film haben.
SN: Einer solchen Assistentin ist womöglich jeder und jede schon begegnet, womöglich ohne sie wahrzunehmen. Sie ist wie eine unsichtbare Person.
Ja, das ist das Konzept, die sonst unsichtbare Person hier sichtbar zu machen: Lasst uns die Person, die in einer mächtigen Organisation die wenigste Macht hat, ins Scheinwerferlicht holen. Wenn wir Nachrichtenberichte lesen über Leute, die für solche Täter arbeiten, ist über diese Personen nah der Macht oft zu lesen, sie seien „Ermöglicherinnen“, aber das kann man nicht einfach so stehen lassen, es ist komplizierter als das. Wenn man eine 23-jährige Frau in einer solchen Umgebung ist, wie viel Macht hat man denn da, wo gibt es die Möglichkeit, etwas zu sagen, wenn man etwas mitbekommt, wenn man Zeugin von Fehlverhalten wird? Das steht hier im Fokus.
SN: Es ist bemerkenswert, dass aus anderen Branchen kaum über sexuelle Übergriffe berichtet wird. Passiert tatsächlich im Filmbusiness mehr als anderswo?
Ich glaube nicht, es wird nur umfassender darüber berichtet, weil uns in unserer Branche halt ständig jemand ein Mikrofon vors Gesicht hält, und nun haben wir jetzt endlich die Chance bekommen, darüber zu sprechen und auch angehört zu werden. Aber in Wahrheit ist es in keiner Branche anders. Viele Frauen, die den Film in den vergangenen Monaten gesehen haben und die in ganz anderen Branchen arbeiten, sind nach dem Screening zu mir gekommen und haben gesagt: „Ich bin genauso wie sie, ich muss genau solche Sachen tun.“Ich bin erstaunt, wie sehr der Film überall ankommt, und wie sehr sich Frauen überall wiedererkennen.
Film:
„Viele Frauen erkennen sich darin wieder.“