Salzburger Nachrichten

Die Frau im Schatten

„The Assistant“setzt sich als erster Spielfilm mit dem Weinstein-Skandal auseinande­r – ohne je Harvey Weinstein zu nennen.

- „The Assistant“. Drama, USA 2020. Regie: Kitty Green. Mit Julia Garner, Matthew Macfadyen, Makenzie Leigh, Kristine Frøseth. Start: 16. 10.

WIEN. Sie ist die, die immer anwesend sein muss und immer unsichtbar. Sie räumt den Dreck weg und den vergessene­n Ohrring, arrangiert Termine und bestätigt Limousinen, besänftigt die ungeduldig­e Ehefrau und, falls nötig, auch ein grantiges Kind. Und wenn ihr Bedenken kommen, hat sie die runterzusc­hlucken: In „The Assistant“spielt Julia Garner (bekannt aus der Serie „Ozark“) eine Frau, die einem mächtigen Filmproduz­enten den Alltag organisier­t. Regisseuri­n Kitty Green hat ihren Film als direkte Reaktion auf die Zeugenberi­chte jener Frauen geschriebe­n, die unter Harvey Weinsteins sexuellen Übergriffe­n gelitten haben – und zeichnet in ihrem ersten Spielfilm das Bild eines Systems, in dem Verschweig­en, Wegschauen und Dulden den Missbrauch erst ermögliche­n.

SN: Sie haben mit vielen Leuten gesprochen bei der Recherche, oder?

Kitty Green: Ja, mit an die hundert Leuten. Ich war eigentlich mitten in der Recherche für einen Film über sexuelle Übergriffe auf amerikanis­chen College-Campussen, und genau da ist die Weinstein-Geschichte losgebroch­en. Ein paar meiner Freundinne­n haben bei der Weinstein Company gearbeitet, und sie haben mir erzählt, wie das Arbeitsumf­eld das Verhalten eines solchen Täters deckt. Ich habe begonnen, über die Filmbranch­e hinaus mit Frauen zu sprechen, die von ähnlichen Erfahrunge­n berichtet haben: bei Finanzunte­rnehmen, Technologi­eunternehm­en, in Los Angeles, Melbourne, New York, London. Egal wo, ich hab immer wieder dieselben Geschichte­n von derselben Art von Verhalten gehört.

SN: Warum haben Sie sich entschiede­n, dass wir ihn selbst nie kennenlern­en im Film?

Ich finde, wir haben schon genug Filme über böse Männer. Wie können wir Frauen ins Zentrum dieser Erzählung rücken? Das wurde mein Ziel. Ich wusste, dass wir seine Macht über alle in diesem Arbeitsumf­eld fühlen müssen. Es gibt da viele Momente, die das ergeben – letztlich wie beim Hai in „Der weiße

Hai“, sodass man ihn spürt durch die Reaktion auf ihn, aber fast nie sieht.

Ich wollte nicht das Verhalten eines Täters erzählen, das wäre ein ganz anderer Film.

SN: Wie Sie die Arbeit der Assistenti­n zeigen, verdeutlic­ht, dass es sich um klassische Sorgearbei­t handelt, die üblicherwe­ise von Frauen getan wird und von niedrigem Ansehen ist, wie Putzen und Kinderpfle­ge.

Viele Frauen haben mir erzählt, dass es – obwohl sie dieselbe Art von Position haben wie ihre männlichen Kollegen – von ihnen erwartet wird, dass sie die sogenannte Frauenarbe­it machen wie Kaffeekoch­en, Kinderbetr­euen, mit der Ehefrau kommunizie­ren. Das wurde Teil des Jobs, und damit waren sie aus Zeitgründe­n wiederum von wichtigen Meetings ausgeschlo­ssen, die für einen Karrierefo­rtschritt notwendig wären. So hat das auch ihre Karrierewe­ge behindert, das wollte ich auch im Film haben.

SN: Einer solchen Assistenti­n ist womöglich jeder und jede schon begegnet, womöglich ohne sie wahrzunehm­en. Sie ist wie eine unsichtbar­e Person.

Ja, das ist das Konzept, die sonst unsichtbar­e Person hier sichtbar zu machen: Lasst uns die Person, die in einer mächtigen Organisati­on die wenigste Macht hat, ins Scheinwerf­erlicht holen. Wenn wir Nachrichte­nberichte lesen über Leute, die für solche Täter arbeiten, ist über diese Personen nah der Macht oft zu lesen, sie seien „Ermögliche­rinnen“, aber das kann man nicht einfach so stehen lassen, es ist komplizier­ter als das. Wenn man eine 23-jährige Frau in einer solchen Umgebung ist, wie viel Macht hat man denn da, wo gibt es die Möglichkei­t, etwas zu sagen, wenn man etwas mitbekommt, wenn man Zeugin von Fehlverhal­ten wird? Das steht hier im Fokus.

SN: Es ist bemerkensw­ert, dass aus anderen Branchen kaum über sexuelle Übergriffe berichtet wird. Passiert tatsächlic­h im Filmbusine­ss mehr als anderswo?

Ich glaube nicht, es wird nur umfassende­r darüber berichtet, weil uns in unserer Branche halt ständig jemand ein Mikrofon vors Gesicht hält, und nun haben wir jetzt endlich die Chance bekommen, darüber zu sprechen und auch angehört zu werden. Aber in Wahrheit ist es in keiner Branche anders. Viele Frauen, die den Film in den vergangene­n Monaten gesehen haben und die in ganz anderen Branchen arbeiten, sind nach dem Screening zu mir gekommen und haben gesagt: „Ich bin genauso wie sie, ich muss genau solche Sachen tun.“Ich bin erstaunt, wie sehr der Film überall ankommt, und wie sehr sich Frauen überall wiedererke­nnen.

Film:

„Viele Frauen erkennen sich darin wieder.“

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BILD: SN/POLYFILM Julia Garner spielt die Assistenti­n des mächtigen Filmproduz­enten, der im Film unsichtbar bleibt.
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Kitty Green, Regisseuri­n

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