In der Pandemie kommt es auch auf die Wortwahl an
Wörter wie „Verdachtsfall“oder „abgesondert“sind mittlerweile Teil der Alltagssprache. Welchen psychologischen Effekt solche Begriffe haben können. Und welche Alternativen es gibt.
SALZBURG. Das Online-Wörterbuch Wiktionary setzt den Begriff „Verdachtsfall“mit einem „Tatbestand“gleich. Und als Unterbegriff wird der „Spionage-Verdachtsfall“genannt.
„Verdachtsfall“sei ein Paradebeispiel dafür, wie in der Pandemie Begriffe aus Spezialbereichen wie der Kriminalistik in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind, schildert Michael König. König ist studierter Psychologe und Gesundheitswissenschafter sowie Diakoniewerk-Geschäftsführer für Salzburg und Tirol. „Als Vertreter einer Sozialorganisation höre ich, wie es vor allem älteren Menschen in der Krise geht – und was manche Leitbegriffe mit ihnen machen.“Laut König habe man ab und zu das Gefühl, „in einem Kriminalgeschehen“zu stecken. „Wenn ein Mensch zum Verdachtsfall wird, fühlt er sich schuldig.“Ähnliches gelte für Wörter wie „abgesondert“oder „isoliert“.
Doch beeinflusst die Wortwahl tatsächlich unser Wohlbefinden und auch unser Verhalten in der Pandemie? „Sprache formt unser Denken“, ist sich König sicher. Begriffe wie „Verdachtsfall“würden nicht nur für die Betroffenen selbst stigmatisierend wirken. „Sie machen auch etwas mit unserer gesellschaftlichen Atmosphäre.“
Ähnlicher Ansicht ist Manfred Glauninger, Soziolinguist an der Uni Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Es sei klar, dass manche Begriffe Wirkung gezeigt hätten – wenngleich es dazu noch keine fundierten Studien gebe. Glauninger glaubt jedoch nicht, dass die Begriffe etwa von Politikern bewusst manipulativ eingesetzt wurden. „Im Frühling war niemand auf die Pandemie vorbereitet.“Viele Äußerungen seien da „rein emotional gefallen“– oder unreflektiert aus dem Epidemiegesetz bzw. dem Medizinfach übernommen worden. Und Fachbegriffe hätten per se den Hang, einschüchternd zu wirken. Sie seien für viele „fast eine Geheimsprache“, die befremden und ausgrenzen kann.
Sieben Monate nach dem Coronaausbruch sollte man nun aber „nachdenken, wie man kommuniziert“. Manfred Glauninger plädiert etwa dafür, den Begriff „Gefährder“nicht mehr zu verwenden. „Das überschreitet für mich eine Grenze. Das geht in Richtung Diskriminierung.“Michael König setzt sich indes dafür ein, „Verdachtsfall“durch „Klärungsfall“und „Absonderung“konsequent durch „Quarantäne“zu ersetzen. Ein Heimbewohner, der abgegrenzt wird, müsse auch nicht „isoliert“werden. Stattdessen könne man davon sprechen, „dass er in seinem Zimmer betreut wird“. Und König gibt noch eine Anregung: „Wieso sprechen wir von Abstandsregeln,
aber niemand überlegt sich, wie Näheregeln aussehen können?“Also Regeln, wie wir uns nahe sein können, ohne Auflagen zu missachten.
Setzten Politiker und auch Medien solche Schritte um, könne das „auf lange Sicht durchaus Wirkung haben“, sagt Manfred Glauninger. Aber könnte es nicht verwirrend sein, wenn etablierte Begriffe ersetzt werden? „Ja, kann es. Und wenig ist in dieser Phase so schlimm wie Verwirrung.“Jedoch sei es wahrscheinlich, „dass die Verwirrung irgendwann in das Positive mündet“, also neue Begriffe etabliert werden.
Auch deshalb wünscht sich Michael König, dass bei einer Novelle des Epidemiegesetzes daran gedacht wird, Wörter zu ersetzen. Dass ein sprachlicher Schwenk gelinge, sei indessen gar für die Bewältigung der Pandemie wichtig. Denn: „Letztlich geht es darum, die Bevölkerung mitzunehmen. Und dafür ist Sprache ein wichtiger Schlüssel.“