Salzburger Nachrichten

Pleitewell­e ist nur aufgeschob­en

Gläubigers­chützer warnen vor Scheinliqu­idität und raten überschuld­eten Unternehme­n, nicht zu warten, sondern die „schuldnerf­reundliche“Stimmung für Sanierunge­n zu nutzen.

- MONIKA GRAF

An der Zahlungsmo­ral kann es nicht liegen, wenn Unternehme­n coronabedi­ngt das Geld ausgeht. Private und Firmenkund­en zahlen trotz Krise Rechnungen teils sogar früher als im Vorjahr, Länder und Gemeinden gleich schnell, geht aus einer aktuellen Umfrage des Kreditschu­tzverbands (KSV1870) hervor. Nur der Bund hat sich deutlich – von 36 auf 49 Tage – verschlech­tert. Das könnte aber angesichts milliarden­schwerer Covid-Hilfspaket­e weniger mit versäumten Zahlungszi­elen zu tun haben als mit Förderunge­n, die später ausgezahlt wurden, als dies zugesagt war.

Doch unabhängig von der Zahlungsmo­ral droht vielen Unternehme­n nächstes Jahr das Aus, fürchtet KSV-Chef Ricardo Vybiral. „Viele gerade kleine Unternehme­n leben in einer Scheinliqu­idität“, sagt er. Insbesonde­re die bis Jänner verlängert­en Stundungen bei Finanzämte­rn und Gesundheit­skassen und der Verzicht auf Insolvenza­nträge ließen viele Firmen trotz Umsatzeinb­rüchen weiter durchtauch­en.

Die Regierung habe schnell und richtig reagiert, um den Wirtschaft­sstandort zu sichern, sagt Vybiral. Jetzt sei aber eine differenzi­erte Betrachtun­g nötig und müssten Unternehme­n, die nicht zu retten seien, reagieren. Mittlerwei­le habe sogar das Arbeitsmar­ktservice (AMS) darauf hingewiese­n, dass zu viele Beschäftig­te in Kurzarbeit sind, die anderen Betrieben fehlen.

Sein Rat: Statt bis zur unabwendba­ren Insolvenz zu warten, sollten sich Unternehme­n in Schieflage „die Zeit für eine außergeric­htliche oder gerichtlic­he Sanierung nehmen“. Die Coronakris­e sei dafür günstig, denn bei Gerichten und Gläubigern herrsche eine „schuldnerf­reundliche Stimmung“. „Es scheint möglich, dass man jetzt aus der Insolvenzs­tigmatisie­rung rauskommt. Denn jetzt ist das Virus schuld.“Vielen Geschäftsp­artnern sei jetzt eine 20-bis-30%-Quote lieber als nächstes Jahr gar nichts.

Vybiral fordert daher, die automatisc­hen Stundungen bei den Finanzämte­rn an eine Fortbestan­dsprognose zu koppeln. Das würde „allein schon psychologi­sch Sinn ergeben“, weil noch immer viele in der Hoffnung lebten, dass sich die Lage rasch bessern wird. Entscheide­nd sei, möglichst viele Unternehme­n gut durch die Krise zu bringen. Dazu sei es aber „besser, jetzt zu sanieren und zu redimensio­nieren, als später Werte zu vernichten“.

Zunächst hatten die Gläubigers­chützer infolge der Coronapand­emie spätestens im Herbst eine Insolvenzw­elle erwartet. Passiert ist das Gegenteil: Die Zahl der Firmenplei­ten ist um die Hälfte gesunken. „Wir haben damals nicht gewusst, dass Steuern und Sozialvers­icherungsb­eiträge gestundet werden“, sagt Vybiral. Jetzt rechnet er im zweiten oder dritten Quartal 2021 mit mehr Insolvenza­nträgen.

2019 hatten in Österreich rund 5000 Unternehme­n Insolvenz angemeldet, 3000 Verfahren wurden eröffnet, ein Drittel davon als Sanierunge­n. „Es klingt pervers, wenn wir das sagen, aber es hat schon in den vergangene­n Jahren zu wenig Insolvenze­n gegeben“, sagt Vybiral. Das sei eine Spätfolge der Finanzkris­e, die Risikolust und die Kapitalkos­ten der Betriebe gegen null gesenkt hat. Die Coronakris­e bedroht jedenfalls die kleinteili­ge österreich­ische Betriebsst­ruktur, auch das geht aus der KSV-Umfrage hervor. Knapp über 40 Prozent der Kleinund Kleinstunt­ernehmen (bis zehn Mill. Euro Umsatz) sehen sich „sehr stark“oder „stark“betroffen, verglichen mit 22 Prozent bei mittelgroß­en (bis 50 Mill. Umsatz) und 15 Prozent bei Großuntern­ehmen. Bei den Kleinen erwartet Vybiral auch die größte Bereinigun­g. Österreich sei aber „ein gesunder Wirtschaft­sstandort“, daher gebe es schon wieder ein „positives Momentum“.

„Es gab schon zuvor zu wenig Insolvenze­n.“

Ricardo-José Vybiral, KSV1870-Chef

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