Pleitewelle ist nur aufgeschoben
Gläubigerschützer warnen vor Scheinliquidität und raten überschuldeten Unternehmen, nicht zu warten, sondern die „schuldnerfreundliche“Stimmung für Sanierungen zu nutzen.
An der Zahlungsmoral kann es nicht liegen, wenn Unternehmen coronabedingt das Geld ausgeht. Private und Firmenkunden zahlen trotz Krise Rechnungen teils sogar früher als im Vorjahr, Länder und Gemeinden gleich schnell, geht aus einer aktuellen Umfrage des Kreditschutzverbands (KSV1870) hervor. Nur der Bund hat sich deutlich – von 36 auf 49 Tage – verschlechtert. Das könnte aber angesichts milliardenschwerer Covid-Hilfspakete weniger mit versäumten Zahlungszielen zu tun haben als mit Förderungen, die später ausgezahlt wurden, als dies zugesagt war.
Doch unabhängig von der Zahlungsmoral droht vielen Unternehmen nächstes Jahr das Aus, fürchtet KSV-Chef Ricardo Vybiral. „Viele gerade kleine Unternehmen leben in einer Scheinliquidität“, sagt er. Insbesondere die bis Jänner verlängerten Stundungen bei Finanzämtern und Gesundheitskassen und der Verzicht auf Insolvenzanträge ließen viele Firmen trotz Umsatzeinbrüchen weiter durchtauchen.
Die Regierung habe schnell und richtig reagiert, um den Wirtschaftsstandort zu sichern, sagt Vybiral. Jetzt sei aber eine differenzierte Betrachtung nötig und müssten Unternehmen, die nicht zu retten seien, reagieren. Mittlerweile habe sogar das Arbeitsmarktservice (AMS) darauf hingewiesen, dass zu viele Beschäftigte in Kurzarbeit sind, die anderen Betrieben fehlen.
Sein Rat: Statt bis zur unabwendbaren Insolvenz zu warten, sollten sich Unternehmen in Schieflage „die Zeit für eine außergerichtliche oder gerichtliche Sanierung nehmen“. Die Coronakrise sei dafür günstig, denn bei Gerichten und Gläubigern herrsche eine „schuldnerfreundliche Stimmung“. „Es scheint möglich, dass man jetzt aus der Insolvenzstigmatisierung rauskommt. Denn jetzt ist das Virus schuld.“Vielen Geschäftspartnern sei jetzt eine 20-bis-30%-Quote lieber als nächstes Jahr gar nichts.
Vybiral fordert daher, die automatischen Stundungen bei den Finanzämtern an eine Fortbestandsprognose zu koppeln. Das würde „allein schon psychologisch Sinn ergeben“, weil noch immer viele in der Hoffnung lebten, dass sich die Lage rasch bessern wird. Entscheidend sei, möglichst viele Unternehmen gut durch die Krise zu bringen. Dazu sei es aber „besser, jetzt zu sanieren und zu redimensionieren, als später Werte zu vernichten“.
Zunächst hatten die Gläubigerschützer infolge der Coronapandemie spätestens im Herbst eine Insolvenzwelle erwartet. Passiert ist das Gegenteil: Die Zahl der Firmenpleiten ist um die Hälfte gesunken. „Wir haben damals nicht gewusst, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gestundet werden“, sagt Vybiral. Jetzt rechnet er im zweiten oder dritten Quartal 2021 mit mehr Insolvenzanträgen.
2019 hatten in Österreich rund 5000 Unternehmen Insolvenz angemeldet, 3000 Verfahren wurden eröffnet, ein Drittel davon als Sanierungen. „Es klingt pervers, wenn wir das sagen, aber es hat schon in den vergangenen Jahren zu wenig Insolvenzen gegeben“, sagt Vybiral. Das sei eine Spätfolge der Finanzkrise, die Risikolust und die Kapitalkosten der Betriebe gegen null gesenkt hat. Die Coronakrise bedroht jedenfalls die kleinteilige österreichische Betriebsstruktur, auch das geht aus der KSV-Umfrage hervor. Knapp über 40 Prozent der Kleinund Kleinstunternehmen (bis zehn Mill. Euro Umsatz) sehen sich „sehr stark“oder „stark“betroffen, verglichen mit 22 Prozent bei mittelgroßen (bis 50 Mill. Umsatz) und 15 Prozent bei Großunternehmen. Bei den Kleinen erwartet Vybiral auch die größte Bereinigung. Österreich sei aber „ein gesunder Wirtschaftsstandort“, daher gebe es schon wieder ein „positives Momentum“.
„Es gab schon zuvor zu wenig Insolvenzen.“
Ricardo-José Vybiral, KSV1870-Chef