Salzburger Nachrichten

Das Projekt Selbstvera­ntwortung ist gescheiter­t

Vorwärts zurück in den März. Das Coronaviru­s hat uns fest im Griff. Auch wenn das zuletzt viele nicht mehr wahrhaben wollten.

- Gerhard Schwischei GERHARD.SCHWISCHEI@SN.AT

Ein Marathon wird erst ab Kilometer 30 so richtig schwierig. Bis dahin ist alles im Vergleich dazu Vorgeplänk­el. Ausdauer, Leidensfäh­igkeit und Willensstä­rke sind gefordert, um bis zur Ziellinie durchzuhal­ten. Das Ziel im Kampf gegen das Coronaviru­s sind sichere Impfstoffe und gute Medikament­e, um die Viren zu stoppen. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober hat zu Beginn der Coronakris­e mit dem Marathon kein schlechtes Bild verwendet, um deutlich zu machen, dass der Weg lang und mühsam wird.

Wie mühsam, das wird jetzt besonders in Salzburg klar, wo unter anderem mit Kuchl wieder ein ganzer Ort in Quarantäne geschickt wird. Für den epidemiolo­gischen Laien ist es anhand der absoluten Erkrankung­szahlen kaum nachvollzi­ehbar, dass die Situation im Tennengau der sogenannte schlimmste Fall in einer Pandemie ist. Wenn nämlich das Infektions­geschehen völlig außer Kontrolle gerät, keine Cluster mehr feststellb­ar sind und zudem die Bereitscha­ft der Menschen, selbst das Notwendige und Geforderte zu tun, verloren geht. Die Zahlen steigen dann nämlich nicht mehr langsam, wie jetzt über Wochen, sondern sie galoppiere­n plötzlich mit atemberaub­ender Geschwindi­gkeit dahin. Das hat nichts mit Angstmache zu tun, das sind Grundgeset­ze der Epidemiolo­gie, die jetzt die Politik wieder zum Handeln zwingen. Wer offenen Auges über die Grenzen hinausblic­kt, muss akzeptiere­n, dass in einigen Ländern Europas das Gesundheit­ssystem wieder an seine Grenzen gestoßen ist. Salzburg hat bereits ein leerstehen­des Spital für Coronapati­enten reserviert. Und wenn Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer sagt, dass ohne konsequent­es Gegensteue­rn in zwei Wochen auch hier die Grenze der Versorgbar­keit erreicht sein könnte, dann hat das einen sehr realen Hintergrun­d.

Warum aber hat die Politik die Menschen im Abwehrkamp­f gegen das Virus verloren? Landessani­tätsdirekt­orin Petra Juhasz musste konsternie­rt feststelle­n, dass Infizierte beim Angeben von Kontaktper­sonen zuletzt nicht mehr kooperiert haben oder Menschen mit Symptomen sich nicht testen ließen. In sozialen Netzwerken hat man sogar dazu aufgerufen. Getrieben auch von einzelnen Experten, die sehr schnell mit dem Bürsten gegen den Strich und schlechten Büchern in Großauflag­en ein Geschäftsm­odell entwickelt haben. Faktum bleibt: Die vielen Appelle der Politik an die Selbstvera­ntwortung der Menschen blieben offenbar von zu großen Teilen der Bevölkerun­g ungehört. Das Projekt ist gescheiter­t. Nur: Der Marathon ist noch nicht zu Ende.

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