Werden die Betten knapp?
In Amsterdam schließen Notaufnahmen, in Prag entsteht ein Feldlazarett, die Charité verschiebt planbare Eingriffe. Mit den Coronafällen steigt die Sorge um die Kapazität der Spitäler.
WIEN. Österreich liegt hinter Bulgarien und Deutschland europaweit an der Spitze, wenn es um die Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner geht. Das zeigen die Zahlen von Eurostat. Bei Intensivbetten belegt Österreich hinter Deutschland sogar den zweiten Platz. In beiden Ländern ist es während der ersten Welle der Coronapandemie zu keinen Engpässen im Gesundheitssystem gekommen.
Am anderen Ende der Statistik steht Schweden. Dort kamen die Spitäler zwar ebenfalls nicht an ihre Grenzen, Patienten ab 60 Jahren mit Vorerkrankungen wurden aber oft gar nicht ins Spital eingeliefert.
Mit Ausnahme von Dänemark folgen am hinteren Ende der Bettenstatistik Länder, die grobe Probleme mit ihren Kapazitäten haben oder hatten: Spanien, Italien und die Niederlande, wo diese Woche Notaufnahmen geschlossen und ein provisorisches Coronaspital in einem Hotel eingerichtet wurde.
Bewältigen Länder mit mehr Spitalsbetten die Krise also besser? Ein trügerischer Schluss, findet Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS), der mehr Betten nur als „kurzfristige Strategie“sieht. Denn sobald die Neuinfektionen exponentiell steigen, sei es nur „eine Frage von Tagen“, bis auch zusätzliche Betten belegt seien. „Mit mehr Betten erkaufe ich mir minimal mehr Zeit“, sagt der Wissenschafter.
Die Probleme in Spanien und Italien sieht er mehr in der starken Regionalisierung des Gesundheitswesens begründet als in der Zahl der Spitalsbetten. Diese Regionalisierung verstärke nämlich eine generelle Schwierigkeit in der Coronakrise: dass es in jedem europäischen Land nur einige wenige Pandemieexperten gebe, in einzelnen Regionen sei das Know-how entsprechend noch knapper.
Mit Betten allein ist es zudem ohnehin nicht getan. Ulrich Frei, Vorstand für Krankenversorgung der
Charité in Berlin, gab diese Woche in einer Pressekonferenz zu bedenken, dass Deutschland zwar bei den Intensivbetten führend sei, aber das Personal fehle, damit alle Betten tatsächlich belegt werden können. Das Spital gab vergangene Woche bekannt, geplante Eingriffe wieder zu verschieben, um Kapazitäten für Covid-19-Patienten frei zu machen.
Auch Gesundheitsökonom Czypionka hält es für wichtig, Kapazitäten frei zu halten. Gleichzeitig könnten wichtige Eingriffe in den Spitälern derzeit durchaus gemacht werden. Denn aus den Erfahrungen der ersten Welle wisse man, dass viele Infizierte oft erst ab der zweiten Woche eine Behandlung im Spital bräuchten. Es sei daher „in gewissem Maße auch vorhersehbar“, wann die Krankenhäuser mit mehr Patienten zu rechnen hätten.
Ähnlich argumentierte der britische Epidemiologe und Regierungsberater Jonathan Van-Tam diese Woche in London. Der Experte hielt den Briten anhand der Neuinfektionen der vergangenen Wochen vor Augen, was den Gesundheitsdiensten demnächst bevorstehen wird:
Es gebe eine zeitliche Kluft zwischen den neuen Fällen und der Zunahme von Aufnahmen im Krankenhaus sowie dem Anstieg von Todesfällen. „Die Krankenhausaufnahmen jetzt basieren auf den Neuinfektionen von vor drei Wochen“, sagte er. „Und schon jetzt gibt es mehr Aufnahmen und Tote.“Die Zahlen müssten deutlich zurückgehen, damit der Nationale Gesundheitsservice (NHS) neben Covid-19Patienten auch andere Krankheiten behandeln könne, mahnte der Epidemiologe. Die Regierung bereite den NHS bereits auf „die nächste Phase“der Coronakrise vor.
Auch in anderen Ländern laufen die Vorbereitungen. In Frankreich gibt es für den Pariser Raum einen Notfallplan, demzufolge Spitäler Operationen verschieben und Urlaubssperren für medizinisches Personal verhängen können. In Tschechien, wo die Neuinfektionen trotz bereits verschärfter Maßnahmen weiter steigen, kauft die Regierung rund 4000 Spitalsbetten an. Das Militär soll bis zum Wochenende unter anderem in Messehallen Feldkrankenhäuser aufbauen.