Herr Sánchez wird grün
Spanien schwenkt um. Die ökologische Eiszeit ist vorüber. Die Coronahilfen geben den Startschuss.
DDer Schornstein qualmt nicht mehr. Auch aus den drei Kühltürmen wabern keine Dampfschwaden. Die Stilllegung des 40 Jahre alten Kohlekraftwerks in der ostspanischen Provinz Teruel zeigt, dass auch in Spanien die Energiewende langsam Schwung bekommt.
In diesen Tagen beginnt der Abbruch des Kraftwerks. Und zugleich startet auf dem Gelände der Bau eines Solar- und Windparks. Auf 1750 Megawatt Nennleistung soll die grüne Stromfabrik vom Jahr 2026 an kommen. Das ist etwa so viel wie ein mittelgroßes Atomkraftwerk und mehr als genug, die ganze umliegende Region Aragonien, in der 1,3 Millionen Menschen leben, mit Strom zu versorgen.
Jahrelang hatten Umweltschützer gegen die „Dreckschleuder“in Teruel gekämpft. Sie machten das Kohlekraftwerk des Energieriesen Endesa für das Waldsterben in der reichhaltigen Naturlandschaft der Region verantwortlich. Doch entscheidend waren nicht die Proteste, sondern heftiger Gegenwind aus Brüssel. Immer schärfere Schadstoffgrenzwerte der EU-Kommission hätten eine teure Aufrüstung der Abgasfilter notwendig gemacht. Das rechnete sich nicht mehr. Aus ähnlichen Gründen werden in den nächsten Jahren wohl auch die restlichen acht Kohlewerke im Land sterben.
Das ist eine gute Nachricht für Spanien, dessen Klimabilanz im europäischen Vergleich alles andere als gut aussieht. Denn seit 1990 – dem Referenzjahr der globalen Klimaabkommen – stieg Spaniens Schadstoffausstoß überdurchschnittlich. Im EUDurchschnitt sanken derweil die Emissionen. Die Klimaschutzziele schreiben bis 2020 eine Reduzierung der Treibhausgase um 20 Prozent (gegenüber 1990) vor – die Spanier sind davon meilenweit entfernt.
Die Energie- und Ökowende erfordert laut Umweltministerium in Madrid bis 2030 annähernd 240 Milliarden Euro an Investitionen. Einen Teil davon will Spanien mit dem Milliardenregen finanzieren, den die EU von 2021 bis 2023 für jene Länder und Regionen ausschütten will, deren Wirtschaftssysteme besonders unter der Coronapandemie leiden.
Spanien kann nach Italien die größte Unterstützung erwarten: 72 Milliarden Euro, der Großteil als nicht rückzahlbare Zuschüsse. Fast 40 Prozent davon will der sozialistische Premier Pedro Sánchez für die Energiewende und den ökologischen Umbau verwenden. 33 weitere Prozent sind für die Digitalisierung der Wirtschaft geplant.
Mit dem seit 2018 regierenden Sánchez ist der Kampf gegen den Klimawandel in Spanien nach Jahrzehnten der ökologischen Nachlässigkeit erstmals zur Priorität geworden. Das Mittelmeerland könne nicht so weiter wirtschaften wie bisher, predigt Sánchez. „Wir ruinieren den Planeten, auf dem wir leben.“Spanien sei eines der am stärksten vom Klimawandel bedrohten europäischen Territorien.
Die Warnsignale häufen sich: Die Küstenerosion schreitet durch den steigenden Meeresspiegel voran und lässt Strände verschwinden. Immer heftigere Unwetter sorgen für schwere Schäden. Die Erderwärmung geht im Mittelmeerraum schneller vonstatten als im globalen Durchschnitt. Dürrezeiten und Waldbrände nehmen zu.
Handeln tut also not. Deswegen will die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone beim Klimaschutz nicht länger zu den Bremsern gehören. Sánchez kündigte an, dass Spanien das von der EU-Kommission angestrebte Klimaziel mittrage, wonach der Schadstoffausstoß schon bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden soll – verpflichtend vereinbart sind bisher 40 Prozent.
Doch bis dahin hat Spanien, das wegen der tiefen politischen Spaltung des Landes einen riesigen Reformstau vor sich herschiebt, noch einen weiten Weg vor sich. Bis heute hat sich das Land nicht von der ökologischen Eiszeit unter dem konservativen Regierungschef Mariano Rajoy (2011–2018) erholt, der die Solarenergie mit einer „Sonnensteuer“ausgebremst hatte.
Laut einer Studie gibt es in Spanien derzeit kaum mehr als 10.000 Gebäudedächer mit Solarzellen. In den nördlichen EU-Staaten gehören Solardächer derweil zum urbanen Bild: In Deutschland zum Beispiel produzieren dieser Studie zufolge derzeit 1,4 Millionen „Sonnendächer“Strom.
Auch in Sachen Elektroautos gehört Spanien zu den Schlusslichtern. Nach einer Erhebung des International Council on Clean Transportation (ICCT), einer unabhängigen Forschungsorganisation, sind in Spanien nur drei Prozent der 2020 zugelassenen Neuwagen E-Autos. Der EU-Schnitt, dem sich zum Beispiel Deutschland oder Österreich annähern, liegt bei acht Prozent.
Spitzenreiter bei den E-Autos ist mit 29 Prozent Schweden, das Heimatland von Greta Thunberg, der Initiatorin der Klimaschutzbewegung Fridays for Future. Ihre Protestaufrufe bringen fast überall viele Aktivisten auf die Beine – nur in Madrid nicht. Zuletzt folgten gerade einmal 100 Menschen ihrem Aufruf zum Protest.
Wir können nicht weiter wirtschaften
wie bisher.
Pedro Sánchez
Regierungschef