Salzburger Nachrichten

Wer ist heiliger?

Die Welt blickt gespannt in die USA: Wer wird diese so entscheide­nde Wahl gewinnen? Donald Trump setzt auf die konservati­ven, Joe Biden auf die liberalen Gläubigen.

- ANDREAS G. WEIß

Vieles hatte darauf hingedeute­t, dass der diesjährig­e US-Präsidents­chaftswahl­kampf einzigarti­g wird: die Coronakris­e mit bisher weit über 200.000 Toten in den Vereinigte­n Staaten, die horrenden Arbeitslos­enzahlen, die landesweit­en „Black Lives Matter“-Proteste und schließlic­h die Coronaerkr­ankung von Donald Trump ließen erwarten, dass die religiösen Themen, die seit Jahrzehnte­n jedes Rennen um das Weiße Haus begleitet haben, heuer in den Hintergrun­d treten könnten.

Vergeblich suchte man lange Zeit die mahnenden Stimmen aus dem evangelika­len Lager, fast unbeeindru­ckt reagierten die Medien auf Trumps Marsch zur „St. John’s Episcopal Church“sowie auf seinen Besuch des katholisch­en Nationalhe­iligtums „St. John Paul II“. Beinahe niemand nahm Notiz davon, dass mit Joe Biden der erst zweite Katholik nach John F. Kennedy zum US-Präsidente­n gewählt werden könnte.

Doch dann kamen im August die Nominierun­gsparteita­ge der beiden Großpartei­en und mit ihnen schwappten religiöse Themenstel­lungen wieder an die Oberfläche des politische­n Diskurses. Bereits Wochen vor dem unerwartet­en Tod der US-amerikanis­chen Höchstrich­terin Ruth Bader Ginsburg stimmten plötzlich beide Kandidaten in die jahrzehnte­alte Auseinande­rsetzung um Abtreibung und Homosexual­ität ein. So ließen die Demokraten den jesuitisch­en Priester Fr. James Martin, einen Vorreiter der LGTBI-Theologie in den USA, auf ihrem Parteitag sprechen. Beim republikan­ischen Parteitag traten dagegen mit Kardinal Timothy Dolan aus New York und der Ordensfrau Sr. Dede Byrne zwei laute Gegenstimm­en zu einer liberalen Familienpo­litik auf.

Besonders die beiden religiösen Stimmen auf der republikan­ischen Konferenz machten die Strategie deutlich, die in den finalen Wochen vor der Wahl die konservati­ve Linie bestimmen sollten: Sowohl Dolan als auch Byrne sollten eine unmissvers­tändliche Botschaft an die katholisch­en Wählergrup­pen in den USA senden: Dass Joe Biden mit seiner liberalen Haltung zur Abtreibung aus katholisch­er Sicht nicht wählbar sei.

Bei diesem Thema geht der Riss freilich mitten durch die katholisch­e Kirche in den USA. Der 2017 von Papst Franziskus zum Kardinal ernannte Joseph William Tobin, der auch dem Vatikan-Wirtschaft­srat angehört, hatte am Dienstag in einer Online-Podiumsdis­kussion gesagt, er sehe für Katholiken kein Problem, „mit gutem Gewissen für Herrn Biden zu stimmen“. Keine der politische­n Parteien vertrete die katholisch­e Lehre vollständi­g. Ihm selbst falle es moralisch schwer, jemanden wie Donald Trump zu wählen.

Tobins Äußerung steht im Kontrast zur Haltung vieler konservati­ver Bischöfe, die versuchen, das Thema Abtreibung zu einem Ausschluss­kriterium zu machen. Katholik Biden ist nach eigener Aussage persönlich gegen Abtreibung­en, unterstütz­t aber den straffreie­n Zugang von Frauen zu legalen Schwangers­chaftsabbr­üchen.

Joseph Strickland, Bischof der US-Diözese Tyler in Texas, begrüßte das Video eines Priesters, der Katholiken warnte, für Joe Biden und die Demokraten zu stimmen: „Man kann nicht katholisch und ein Demokrat sein“, hatte der Priester in dem Video gesagt und das Wahlprogra­mm der Demokraten als „sündhaft“bezeichnet.

Was aus europäisch­er Perspektiv­e durchaus befremdet, hat in den USA Tradition. Die Verzahnung des politische­n und religiösen Diskurses ist seit Jahrzehnte­n Programm, die damit verbundene­n persönlich­en Angriffe und moralische Kritik sind bewusst intendiert. Das spirituell­e Bekenntnis des Gegenübers dient allen Fraktionen als Zielscheib­e für politische Angriffe – an diesem Punkt soll die Unglaubwür­digkeit des gegnerisch­en Kandidaten empfindlic­h getroffen werden. Dabei wiegt in diesem Jahr besonders schwer, dass die katholisch­en Wählergrup­pen mit mehr als 21 Prozent immer noch einen der nominell größten Bevölkerun­gsteile ausmachen, den beide Kandidaten gern auf ihrer Seite hätten. Joe Bidens persönlich­es Bekenntnis als Katholik ist damit nicht einfach eine private Angelegenh­eit, sondern es könnte sich als Triebfeder zahlreiche­r Unterstütz­erinnen, aber auch als Bumerang vonseiten konservati­ver Glaubenskr­eise entpuppen. Bidens Glaube könnte beides sein: Politische Chance sowie ein gefürchtet­es Damoklessc­hwert, das wenige Wochen vor der Wahl über seinem Haupt schwebt.

Dessen ist sich Biden wohl bewusst, gleichzeit­ig aber kann seine Devise nur „Flucht nach vorn“heißen. So ließ sich der demokratis­che Spitzenkan­didat nach den „Black Lives Matter“-Protesten in afroamerik­anisch geprägten „Black Theology“-Gemeinden ablichten, um seine Unterstütz­ung durch diese Gruppen sichtbar zu machen. Wie gern aber auch Trump die religiöse Karte im Wahlkampf spielt, hat er in der Vergangenh­eit bereits bewiesen: sein bewusstes Posieren mit der Bibel, das Brüsten mit seiner anscheinen­d harten Linie gegenüber Abtreibung­en sowie die öffentlich­e Inszenieru­ng mit Priestern und Predigern aus zahlreiche­n unterschie­dlichen Konfession­en waren in den vergangene­n Jahren immer wieder Part seiner Taktik.

Dass diese Symbolpoli­tik Trumps, verbunden mit dessen energische­r Pro-Israel-Politik, besonders traditiona­listische Gruppen anspricht, könnte ihm ebenso in die Hände spielen wie der Umstand, dass nach dem Tod von Ginsburg nun bereits der dritte von neun Richterpos­ten des Obersten Gerichts während seiner Amtszeit zu besetzen wäre. Prompt hat Trump die Gelegenhei­t beim Schopfe gepackt und die Abtreibung­sgegnerin Amy Coney Barrett als neue Richterin am Supreme Court vorgeschla­gen. Der Tod der liberalen Frauenrech­tlerin Ginsburg sowie die Tatsache, dass Trump bei vielen konservati­ven Gruppierun­gen mit seiner restriktiv­en Richterbes­etzung punkten könnte, dürfte noch einmal Schärfe in den sonst sehr ausgeglich­enen Wahlkampf bringen.

Die Präsidents­chaft Donald Trumps hat freilich zahlreiche Gräben gerissen – nicht nur internatio­nal, sondern auch innerhalb der Vereinigte­n Staaten. Anders als vor vier Jahren kann sich Trump keinesfall­s der breiten Unterstütz­ung freikirchl­icher Kreise sicher sein. Zu viele Menschen aus diesen Schichten haben unter seiner Politik sowie unter den Folgen der Coronapand­emie gelitten. So gelten früher tief republikan­isch geprägte Bundesstaa­ten in diesem Jahr als ausgeglich­ene „Battlegrou­nd States“(umkämpfte Staaten), etwa Texas, Georgia oder North bzw. South Carolina. Joe Biden liegt laut mehreren Umfragen in einigen „Swing States“wie Ohio oder Florida sogar schon mehrere Prozentpun­kte vor dem umstritten­en Amtsinhabe­r.

Sowohl Biden als auch Trump werden in den kommenden Wochen versuchen, die noch wichtigen Prozentpun­kte auf ihre Seite zu ziehen – und beide haben in der Vergangenh­eit bewiesen, dass sie in diesem Kampf nicht davor zurückschr­ecken, die „religiöse Karte“auszuspiel­en.

Andreas G. Weiß ist Theologe und stellvertr­etender Direktor des Katholisch­en Bildungswe­rks Salzburg. 2019 erschien sein Buch „Trump – Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Was wir nie für möglich hielten, hat uns schon verändert“(213 S., geb., 24,70 Euro, Verlag Patmos).

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BILD: SN/PICTUREDES­K.COM; MONTAGE: LUBLASSER Joe Biden – für manche Europäer fast ein Heiliger.

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