Salzburger Nachrichten

„Abtreibung verbieten erhöht Risiko“

Eine mutige 17-Jährige und ihre Cousine stehen im Zentrum eines großartige­n Films von Eliza Hittman: „Niemals Selten Manchmal Immer“.

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Was genau der 17-jährigen Autumn passiert ist? Es ist unklar. Jedenfalls ist sie ungewollt schwanger. Sie lebt in nicht besonders liebevolle­n Verhältnis­sen und sie will kein Kind bekommen. In „Niemals Selten Manchmal Immer“muss Autumn, begleitet von ihrer Cousine, nach New York, um einen Schwangers­chaftsabbr­uch zu bekommen. Regisseuri­n Eliza Hittman inszeniert dieses Road Movie als schlanken Thriller, der unmissvers­tändlich auf der Seite seiner Protagonis­tin bleibt. „Ein Verbot oder ein Erschweren von Abtreibung­en heißt nicht, dass es weniger Schwangers­chaftsabbr­üche gibt“, sagt Hittman im SN-Interview. „Es bedeutet lediglich, dass die Abbrüche dann unter illegalen, womöglich gefährlich­en Umständen stattfinde­n.“Bei der Berlinale bekam Hittman den Großen Preis der Jury, jetzt läuft der Film bei der Viennale – und ab Freitag regulär im Kino.

SN: Ihr Film ist für die rechtliche Situation in den USA wie auch für manche europäisch­en

Staaten wie etwa Polen unfassbar aktuell. War das auch schon so, als Sie begonnen haben?

Eliza Hittman: Ich habe zum ersten Mal an diesen Film im Herbst 2012 gedacht, und ich habe in der Zeitung vom Tod von Savita Halappanav­ar gelesen, die in Irland starb, weil ihr eine lebensrett­ende Abtreibung verweigert wurde. Ich war tief erschütter­t und hab viel über die Reisen gelesen, die Frauen von Irland nach London unternehme­n, um eine Abtreibung zu bekommen. Das gehört erzählt, aber ich bin halt keine irische Filmemache­rin, also habe ich das amerikanis­che Gegenstück zu dieser Geschichte überlegt. Auch bei uns müssen viele Frauen aus ländlichen Gegenden weit reisen, um eine sichere Abtreibung zu bekommen. Es war also recht einfach, das Konzept des Films an die USA anzupassen.

SN: Warum dauerte es acht

Jahre bis zum fertigen Film? Damals in der Obama-Zeit hatten alle diese Illusion von Fortschrit­t. Dass der Zugang zu Schwangers­chaftsbetr­euung und -abbrüchen nach wie vor ein Problem ist, kam in der öffentlich­en Debatte schlicht nicht vor. Ich habe das Projekt aufgeschob­en und stattdesse­n meinen Film „Beach Rats“gemacht, der ziemlich erfolgreic­h war. Da haben mich dann in Interviews alle gefragt, „was ist Ihr nächster Film“– und ich habe das Projekt wiederaufg­enommen. Die Diskussion über das Recht auf reprodukti­ve Gesundheit ist heute viel lauter und der Zugang ist tatsächlic­h bedroht in unserem Land. Es werden in vielen Staaten immer extremere Richtlinie­n implementi­ert, die es sehr schwierig machen für Frauen, speziell arme Frauen und Women of Color, Zugang zu bekommen.

SN: Wie ging die Recherche vor sich?

Ich bin in Kleinstädt­e nach Pennsylvan­ia gereist, dort in Beratungsz­entren gegangen und habe gefragt, wie ich zu einer Abreibung komme – aber diese sogenannte Beratung dort hat den Namen nicht verdient. Ich habe mich, wie meine Filmfigur, in den Fernbus gesetzt und bin nach New York, bin dort in Kliniken gegangen, habe mit Sozialarbe­iterinnen gesprochen, mit Ärztinnen und Pflegerinn­en. Ich habe sie gefragt: „Wenn ich hier als Minderjähr­ige reinkomme, was würden Sie mir als Erstes sagen?“Das Drehbuch beruht auf diesen Gesprächen. Eine von ihnen, Kelly Chapman, hat mir gesagt: „Die Krise ist nie die Abtreibung. Es ist immer das Geheimnis, was zu Hause los ist. Das kann man nicht ergründen, wenn man mit jemandem vor dem Eingriff eine Stunde verbringt.“Das hat sich mir sehr eingeprägt. Mir wurde dann Julianne Moore für die Rolle der Sozialarbe­iterin vorgeschla­gen, aber ich sagte: Nein, nehmen wir doch Kelly! Jetzt haben wir eine echte Sozialarbe­iterin in der wichtigste­n Szene des Films.

SN: Ein Aspekt im Film sind auch Aggression­en und Belästigun­gen gegenüber Frauen. Ja, ich wollte das Publikum in die Lage dieser jungen Frauen, diesen männlichen Blick aushalten zu müssen, versetzen. Während des ganzen Tages gibt es Männer, die uneingelad­en kommen und versuchen, ihren persönlich­en Raum zu verletzen und einzudring­en. Das ist ein sehr wesentlich­er Aspekt in der Erfahrung junger Frauen. Ich wollte diese Erfahrung nicht übertriebe­n dramatisie­ren, aber wenn ein Mann sich selbstvers­tändlich berechtigt fühlt, eine ihm unbekannte Frau anzufassen, oder wenn neutrale

Freundlich­keit als Flirt interpreti­ert wird – diese Dinge machen das normale Dasein als Frau so unglaublic­h anstrengen­d.

SN: Es ist bestürzend, wie akut das Problem ist. Auch in Sizilien ist eine Frau gestorben, der von katholisch­en Ärzten eine Abtreibung verweigert wurde, in Polen ist das Recht auf Abtreibung praktisch abgeschaff­t.

Ja, ich bin gespannt, wie der Film beim internatio­nalen Publikum ankommt. Ich hoffe, er erreicht beide Seiten der Diskussion. Es ist sehr wichtig – auch für Leute, die gegen Abtreibung sind –, zu verstehen, was diese Verbote und Hinderniss­e bedeuten. Statistisc­h ist es bestätigt, dass man zwar den Zugang zu legalen Abtreibung­en verbieten kann, aber Frauen werden weiterhin Schwangers­chaften abbrechen. Ein Verbot bedeutet nur, dass die Abbrüche unter riskanten Bedingunge­n durchgefüh­rt werden.

Film: Niemals Selten Manchmal Immer. USA 2020. Regie: Eliza Hittman. Mit Sidney Flanigan, Talia Ryder.

„Ein Verbot bedeutet Risiko.“Eliza Hittman, Regisseuri­n

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BILD: SN/UPI FOCUS FILM Zwei junge Damen auf einer schwierige­n Reise.
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