Leihbücher kommen per Rad ins Haus
Philippe Jordans Debüt im Abo-Zyklus der Wiener Philharmoniker gelang auch ohne Publikum.
Beatrix Rigger von der Pfarrbücherei in Salzburg-Aigen schickt die Bücher mit Fahrradboten zu den Lesern. Der Service soll nach Corona beibehalten werden.
Rund um das Gebäude des Wiener Musikvereins hängen noch Plakate von Konzerten, die niemals stattfanden – was für ein Verlust für die Musikfreunde. Was aber nicht heißt, dass im Goldenen Saal absolute Stille herrscht. Die Wiener Philharmoniker bestreiten ihre Abonnementkonzerte weiterhin, halt ohne Publikum. So auch am Sonntag, nur eine Handvoll Pressevertreter wurde eingeschleust, und jeder musste sich „freitesten“. Mit dem Covid-Test kennen sich die Philharmoniker aus, der Orchesterarzt Fritz Sterz und sein Team sind sehr aktiv. Wenn man Musiker danach fragt, wie oft sie schon getestet wurden, hört man Zahlen wie „57 Mal“, meistens aber ein „Weiß-ich-garnicht-mehr“.
Bei Anlässen wie dem Neujahrskonzert sei jeder täglich getestet worden, erzählen die beiden Orchesterchefs Daniel Froschauer und Michael Bladerer. Auch sie mussten am Sonntag ihre Nase hinhalten, obwohl sie gar nicht mitmusizierten. Sicherheit geht vor, im ganzen Gebäude muss man FFP2-Maske tragen. Ausgeklügelte Konzepte wie Teststraßen für das Publikum hätten sich dann wegen des Lockdowns erübrigt, sagt Bladerer. Was die Musiker alles auf sich nehmen, um Konzerte spielen zu dürfen, davon können sie ganze Geschichten erzählen, denn immerhin bewältigten die Philharmoniker sogar eine Japan-Tournee, mitten in der Pandemie.
Was treibt ein Orchester an, derartige Belastungen auf sich zu nehmen für Konzerte im leeren Saal, also ohne Applaus? „Ehrlich, wir spielen auch für uns“, sagt Michael Bladerer. Und nach langen Pausen stelle sich immer die Frage, „wo stehen wir künstlerisch“, ergänzt Froschauer. Um das Niveau des Nobelorchesters muss man sich keine Sorgen machen, das zeigte das großartige Konzert am Sonntagvormittag.
Es war das Dirigentendebüt von Philippe Jordan im Abo-Zyklus, dem Heiligtum der Wiener Philharmoniker. Der jugendliche Schweizer ist mittlerweile Musikdirektor an der Wiener Staatsoper und kennt seine Mitstreiter, doch „das Abo“ist wie ein Ritterschlag für jeden Dirigenten, den das Orchester einlädt. Selbstkritisch stellen sowohl Froschauer als auch Bladerer fest, dass eine gewisse „Überalterung“eingetreten sei, Daniel Barenboim ist 78, Riccardo Muti wird 80, ein Herbert Blomstedt wird heuer 94 Jahre alt. Zahlreiche Fixsterne sind bereits verstorben, von Claudio Abbado bis Mariss Jansons, da tun sich für jüngere Dirigenten Chancen auf, bis zum „Gral“der Philharmoniker vorzudringen. Und man sehe sich auch nach Dirigentinnen um, betonen die Orchesterchefs.
Zum ersten Mal stand Philippe Jordan vor dem Orchester schon 2004 bei einer „Così fan tutte“bei den Salzburger Festspielen, wie sich Froschauer erinnert, im Jahr darauf bei der Mozartwoche. Immerhin fanden sich bei seinem nunmehrigen Abo-Debüt Mikrofone und Kameras, für Ö1 und ORF III – im April zu sehen – sowie für den Livestream auf Fidelio. Das Programm war sorgsam ausgesucht und forderte die Stärken des Orchesters heraus. Auch als Zaungast im leeren Saal war nahezu körperlich zu spüren, mit welcher Spielfreude sich das Orchester auf die Aufgabe stürzte, während Jordan keine Partitur benötigte. Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“in der Fassung für Streichorchester entwickelte sich zum spätromantischen Klangbad, sinnlich und melancholisch eingefärbt das schwelgerische Fließen, eine ganz und gar kostbare halbe Stunde Live-Erlebnis nach der langen Dürre.
Wie Philippe Jordan einfühlsam die seelischen Zustände von Mann und Frau bei Schönberg durchwanderte, so sicher führte der Schweizer das Orchester auch auf den Berggipfel, den Richard Strauss in seiner „Alpensinfonie“op. 64 ansteuert. Ein riesig besetztes Prachtwerk mit geradezu bildhafter Musik, in dem der Dirigent besonders die Kräfte der Goldblechfraktion entfesselte, wenige Verschnaufpausen einlegte und das Klanggebirge mit breitem Pinsel farbenreich „malte“. So betörend wie fast betäubend.
Wie schön wäre da ein voll besetzter Saal gewesen, so musste sich Jordan bei seinem gelungenen Debüt mit dem Applaus der Musiker zufriedengeben. Übrigens: Zur Salzburger Mozartwoche reist das Orchester mit Daniel Barenboim für ein Konzert an die Salzach.
„Wir werden teils täglich getestet.“
Daniel Froschauer, Vorstand