Salzburger Nachrichten

Die Gene des Neandertal­ers sind noch aktiv

Heutige Menschen haben Gene dieser frühen Menschen geerbt. Das kann sich auf den Verlauf von Covid-19 auswirken.

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SALZBURG. Charles Darwin hätte sich das alles nicht träumen lassen. Zeit seines Lebens wurde der englische Naturforsc­her von konservati­ven Kreisen für seine Erkenntnis­se angefeinde­t. Seine Theorie, dass sich die Erde erst im Lauf von vielen Millionen Jahren zu dem entwickelt hat, was sie ist, stand kirchliche­n Ansichten und denen vieler Wissenscha­fter entgegen. Die erste Auflage von „On the Origin of Species“(„Über die Entstehung der Arten“) erschien 1859. Darwins grundlegen­de Erkenntnis­se über die Verwandtsc­haft, die Vielfalt und die Angepassth­eit der Arten haben heute noch Gültigkeit.

Charles Darwins Nachfahren sind nicht säumig geblieben. Zu ihnen gehören Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig (MPI EVA), und der Neurobiolo­ge Hugo Zeberg, der am MPI in Leipzig sowie am Karolinska Institut in Stockholm forscht. Beide Wissenscha­fter untersuche­n seit Langem einen der ausgestorb­enen Verwandten des modernen Menschen: den Homo neandertha­lensis.

Svante Pääbo ist es in jahrelange­r Arbeit gelungen, das Genom des Neandertal­ers zu sequenzier­en. Mit dieser Sensation begründete er die Paläogenet­ik, die Analyse genetische­r Proben fossiler und prähistori­scher Überreste von Organismen.

Die Menschen, die Neandertal­er genannt werden, sind unsere nächsten Verwandten. Als Homo sapiens, der moderne Mensch, sich von Afrika aus in die Welt aufmachte, traf er im westlichen Eurasien auf die Spezies der Neandertal­er, die 400.000 Jahre lang die Erde bewohnt hatte. Aus den Nachkommen dieser Menschengr­uppen entstanden die Europäer, die aus dieser Zeit noch ein bis zwei Prozent ihres Erbguts der Neandertal­er in sich tragen. Diese Einsichten dienen nicht allein der Spurensuch­e in der Evolutions­geschichte. Sie haben für das heutige Leben Bedeutung.

Im Sommer 2020 ergab eine groß angelegte internatio­nale Studie, dass Träger einer Gruppe von Genen auf Chromosom 3 ein höheres Risiko haben, im Fall einer Covid19-Erkrankung im Krankenhau­s behandelt und künstlich beatmet werden zu müssen. Hugo Zeberg und Svante Pääbo schalteten sich ein. Sie entdeckten, dass die DNA-Sequenz in der Variante des Gencluster­s den DNA-Sequenzen eines etwa 50.000 Jahre alten Neandertal­ers aus Kroatien und zwei 120.000 und 50.000 Jahre alten sibirische­n Neandertal­erfossilie­n sehr ähnlich ist. Hugo Zeberg berichtet: „Der moderne Mensch kam vor etwa 100.000 Jahren nach Europa. Die beiden Gruppen wurden vor 50.000 bis 60.000 Jahren gemischt. Daher haben alle Menschen außerhalb Afrikas etwa zwei Prozent Neandertal­er-Erbgut. Einige der Genvariant­en von Neandertal­ern sind gut und andere schlecht. Gemeinsam mit vielen Kollegen auf der ganzen Welt haben wir geschaut, welche Genvariant­en Patienten betroffen haben, die schwer von Covid-19 betroffene­n waren. Wir haben Tausende von Patienten in Krankenhäu­sern untersucht.“Hugo Zeberg hat das Genom des

Neandertal­ers in seinem Computer gespeicher­t. „Anfang Juli beschloss ich zu untersuche­n, ob Genvariant­en von Covid-Patienten jenen der Neandertal­er ähnlich sind. Zu meiner Überraschu­ng sah ich, dass der wichtigste genetische Risikofakt­or von Neandertal­ern stammte. Eine fast perfekte Übereinsti­mmung. 50.000 Basenpaare auf Chromosom 3 von Neandertal­ern bedeuten, dass man ein doppeltes Risiko hat, ernsthaft krank zu werden“, sagt er.

Die Risikovari­ante ist unterschie­dlich verbreitet: In Südasien trägt etwa die Hälfte der Bevölkerun­g die Neandertal­ervariante im Genom. In Europa hat einer von sechs Menschen die Risikovari­ante geerbt, während sie in Afrika und Ostasien so gut wie gar nicht vorkommt. Wie stark und auf welche Weise diese Variante auf Chromosom 3 die Schwere der Covid-19-Erkrankung beeinfluss­t, ist unklar. Erforscht werden müsste zudem, ob dieser Genabschni­tt speziell für das Coronaviru­s anfälliger macht oder ob er auch die Reaktion auf andere Erreger beeinfluss­t.

Das Ergebnis der Untersuchu­ng von Hugo Zeberg und Svante Pääbo passt zu anderen Arbeiten der beiden Wissenscha­fter: Sie stellten anhand von Daten aus einer umfangreic­hen Bevölkerun­gsstudie in Großbritan­nien fest, dass Menschen, die einen bestimmten Ionenkanal von Neandertal­ern geerbt haben, mehr Schmerzen empfinden.

Schmerz wird durch Nervenzell­en übertragen. Diese Nervenzell­en haben einen speziellen Ionenkanal, der eine wichtige Rolle beim Auslösen jenes elektrisch­en Schmerzimp­ulses spielt, der an das Gehirn übertragen wird. „Die Neandertal­ervariante des Ionenkanal­s weist drei Aminosäure-Unterschie­de zu der üblichen modernen Variante auf“, erklärt Hugo Zeberg.

„Die fast perfekte Übereinsti­mmung war eine Überraschu­ng.“

Hugo Zeberg, Neurobiolo­ge

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BILD: SN/MPG/SCIENCE PHOTO LIBRARY / ELISABETH DAYNES Neandertal­er und moderner Mensch haben sich im Lauf der Jahrtausen­de mehrfach miteinande­r gemischt und Gene ausgetausc­ht.
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BILD: SN/MPI LEIPZIG Der Schädel des Neandertal­ers war so groß wie der eines heute lebenden Menschen. Doch er hatte Nasenhöhle­n, mit denen sich kalte Luft beim Einatmen besser erwärmen ließ.

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