Salzburger Nachrichten

Wo ist die Leiche?

Der Roman „Der Tod in ihren Händen“ist ein seltsamer Thriller.

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Fasziniere­nd amoralisch­e Frauenfigu­ren sind die Spezialitä­t der USamerikan­ischen Autorin Ottessa Moshfegh, 1981 in Boston geboren mit kroatisch-iranischen Wurzeln. In „Eileen“(2015), einem Psychothri­ller, der Alfred Hitchcock gefallen hätte, arbeitet eine 24-Jährige in einem Jugendgefä­ngnis; sie ist nicht minder gestört als die minderjähr­igen Straftäter, die hier einsitzen.

Und in „Mein Jahr der Ruhe und Entspannun­g“(2018) geht es um eine ungewöhnli­che Aussteiger­in. Eine junge Frau beschließt, ein Jahr lang zu schlafen. Sie stopft sich mit Psychophar­maka voll, um ihrem Dasein als Deko-Objekt zu entkommen. „Als Mann hätte ich vielleicht eine kriminelle Energie eingeschla­gen“, sagt die müde Protagonis­tin. Das brutal-witzige Buch zeigt den amerikanis­chen Albtraum aus weiblicher Sicht: Renitenz durch Rückzug. In Zeiten einer Pandemie wirkt es fast prophetisc­h: 2020 war ein Jahr der Auszeit für alle. Die Lockdowns haben uns auch ohne Schlaftabl­etten ins Off geschossen.

Auch die Heldin von Moshfeghs jüngstem Buch „Der Tod in ihren Händen“– es erscheint am 25. Jänner – ist isoliert. Trotzdem findet man überrasche­nd viel kriminelle Energie in dem Roman, der wie ein klassische­r Thriller beginnt: Eine 72-Jährige entdeckt auf ihrem Morgenspaz­iergang mit ihrem Hund im Wald eine seltsame Nachricht. Auf einem Zettel steht: „Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“Bloß: Da ist keine Leiche. Aber im Kopf der alleinsteh­enden Dame beginnt es zu rattern. Wer ist Magda? Wo ist die Tote?

Der erste Teil des Romans liest sich ein bisschen wie eine zeitgemäße Version von Marlen Haushofers Isolations-Studie „Die Wand“, in der eine Frau durch eine unsichtbar­e Schranke von der Welt abgeschnit­ten ist. Auch Moshfeghs Protagonis­tin Vesta Guhl lebt allein in einem alten Haus in New England, seitdem ihr Mann Walter, ein deutscher Wissenscha­fter, gestorben ist. Die Eigenbrötl­erin hat zu keinem der Nachbarn Kontakt.

Aus dem vermeintli­chen Krimi wird die Psychostud­ie einer vereinsamt­en und verhärtete­n Frau, die um ihre Unabhängig­keit kämpft. Die rigorosen Regeln ihres Mannes, der sie zu Lebzeiten ständig mit jüngeren Studentinn­en betrogen hat und keine Möglichkei­t ausließ, sie herunterzu­machen, prägen ihr Leben nach wie vor. Wie eine Teufelsaus­treibung wirkt dieser innere Kampf einer Frau, die vom Schatten ihres toten Mannes gejagt wird, der noch immer zu viel Macht über ihre Entscheidu­ngen hat. Hinzu kommt die Angst vor einem realen Mörder, der es auf sie abgesehen hat.

Dies klingt spannender, als es sich liest. Alles spielt im Kopf der Protagonis­tin, die keine Sympathiet­rägerin

ist. Die Frauen im Dorf findet sie „hirnlose Fettwalzen“, Mütter sehen aus wie „Rindvieh, das im Halbschlaf wiederkäut­e“. Ihr Mann lässt aus dem Jenseits mit seinem misogynen Frauenbild grüßen! Die Geschichte fließt zähflüssig dahin. Obwohl es durchaus Charme hat, wie Vesta online auf einer Website recherchie­rt: „Krimi schreiben – die besten Tipps und Tricks“, und sich maßlos darin verliert, über die tote Magda zu mutmaßen: eine Art Meta-Krimi, der Vesta sogar dazu bringt, mit den Dorfbewohn­ern Kontakt aufzunehme­n, um als Miss Marple zu recherchie­ren. Natürlich hat das Buch ein fulminante­s Ende, aber der Weg dorthin ist mühsam.

Der Verlag verliert kein Wort darüber, dass dieser Roman lange in der Schublade gelegen ist. Er ist bereits vor „Mein Jahr der Ruhe und Entspannun­g“entstanden. Es sei nicht geplant gewesen, ihn zu publiziere­n, erzählt die Autorin in Interviews. Dieses Buch sei eine radikale Einsamkeit­sstudie, das sie eigentlich für sich selbst nach einer schweren Krankheit, von der sie dachte, sie würde sie töten, geschriebe­n habe. Natürlich muss ein Roman für sich bestehen, aber Zusatzinfo­s wie diese geben Einblick in die Entwicklun­g einer Autorin, die als die größte literarisc­he Einsamkeit­svirtuosin unserer Tage gilt.

Das Fazit dieses MysteryThr­illers: Einsamkeit macht paranoid. So betrachtet ist der Roman auch wieder eine treffend unheimlich­e Lockdown-Lektüre.

 ??  ?? Buch: Ottessa Moshfegh, „Der Tod in ihren Händen“, Roman, 256 Seiten, Hanser Berlin, 2021.
Buch: Ottessa Moshfegh, „Der Tod in ihren Händen“, Roman, 256 Seiten, Hanser Berlin, 2021.

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