Salzburger Nachrichten

Selbstbest­immtes Leben

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Mit Interesse und Anteilnahm­e habe ich den Kommentar von Herrn Huainigg (SN vom 28. 12. 2020) gelesen. Er ist körperlich schwer behindert und äußert sich zur Entscheidu­ng des VfGH bzgl. der straffreie­n Beihilfe zum Freitod. Der Autor hat schwere Situatione­n durchlebt und schreibt, dass es ein „hohes Selbstwert­gefühl“braucht, um die vielen täglich notwendige­n Hilfeleist­ungen anzunehmen. Ist es da nicht nachvollzi­ehbar, dass es Menschen gibt, zumal in fortgeschr­ittenem Alter und mit schmerzrei­cher, tödlicher Krankheit, die eben nicht mehr die Kraft und den Willen haben, in dieser Abhängigke­it zu leben? Für diese Menschen gibt es nun Ende 2021 einen möglichen Ausweg. Könnte diese Möglichkei­t sogar dazu beitragen, die Situation besser zu er-tragen?

Der Autor meint, dass nun aufgrund des Gerichtsen­tscheids Palliativv­ersorgung und Hospiz im Rahmen der Sterbebegl­eitung keine Rolle mehr spielen würden. Er übersieht: Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Unabhängig von der straffreie­n Beihilfe zum Freitod ist es sinnvoll, eine Stärkung der Suizidpräv­ention wie auch der palliative­n Versorgung­sstrukture­n anzustrebe­n und das Problem der Übertherap­ie am Lebensende zu minimieren.

Er weist auf die hervorrage­nden Möglichkei­ten in Österreich hin, fast schmerzfre­i sowie psychosozi­al und medizinisc­h begleitet aus dem Leben zu scheiden. Leider gilt dies nur für eine Minorität. Durch Pflegenots­tand und demografis­che Entwicklun­g sieht die Realität sehr anders aus, die Warteliste für das Raphael Hospiz in Salzburg ist lang. Ich begrüße die Entscheidu­ng des VfGH aus vollem Herzen, nachdem ich erlebt habe, welche Torturen ein Patient mit der unerbittli­ch fortschrei­tenden Krankheit ALS durchstehe­n musste, da er aufgrund der Gesetzgebu­ng mit seinem Sterbewuns­ch alleingela­ssen wurde. Nach zwei missglückt­en eigenen Suizidvers­uchen – er wollte gern zu Hause sterben – musste er sich schließlic­h in die Schweiz bringen lassen, um endlich befreit zu werden.

Unvergessl­ich die leise gesprochen­en Worte des Schweizer Arztes nach einem Moment des Innehalten­s mit geschlosse­nen Augen, bevor er den Wunsch des Patienten erfüllte: „Ich danke, dass ich helfen darf.“

Christine Schönherr

5412 Puch

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