Verschleierungstaktik statt Impfstrategie
In Brüssel und Wien wird das Vertrauen verspielt, das der Impfstoff geschaffen hat. Scheindebatten sollen Lösungen vortäuschen.
Ältere Menschen, die auf einen Termin für die Coronaimpfung warten, müssen sich ob der jüngsten Meldungen aus Wien und Brüssel gefoppt fühlen.
Da gibt die EU-Kommission als neues Ziel aus, alle Menschen über 80 sollten bis zum März geimpft sein. Fragt sich, wie das bei dem Tempo, in dem viele EU-Staaten impfen, erreicht werden soll.
In Salzburg etwa dürfen sich über 80-Jährige, die nicht in Heimen leben, ab 1. Februar überhaupt erst einmal anmelden. Dabei könnten längst ihre Daten erhoben und Impflisten erstellt werden. Solche Vorarbeiten hat etwa Dänemark getroffen, weshalb es die Nummer eins in der EU beim Impfen ist.
Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz wiederum hat dieser Tage nachdrücklich gefordert, der AstraZeneca-Impfstoff möge rasch zugelassen werden. Sehr berechtigt. Nun ist es aber so, dass die Zulassung in neun Tagen erwartet wird. Der Kanzler fordert also etwas, von dem er weiß, dass es ohnedies geschehen wird. Es wäre also kaum der Erwähnung wert, würde nicht der Blick auf die EU-Ebene und weg vom holprigen Impfstart in Österreich gelenkt.
Genau auf dieser EU-Ebene findet am Donnerstag der nächste Videogipfel der 27 Staats- und Regierungschefs statt. Auf dem Programm steht: Koordinierung der Coronamaßnahmen, der Impfstrategie und der Reisebeschränkungen. Es ist die x-te Runde zu diesen Themen. Noch keine davon hat Nennenswertes ergeben. Fast ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie haben sich die Staaten auf keine einheitlichen Reise-, Test- und Quarantänebestimmungen geeinigt.
Diesmal wollen die EU-Chefs auch darüber beraten, ob geimpfte Personen im Sommer volle Reisefreiheit erlangen sollen. Möglicherweise ist das eine gute Idee. Angesichts der vielen ungelösten Probleme fragt sich aber, ob die Debatte wirklich vorrangig ist. Noch weiß man nicht einmal, ob eine Impfung vor der Übertragung des Virus überhaupt schützt.
Die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs und dessen Beschaffung für alle EU-Länder waren die guten Nachrichten im Kampf gegen die Pandemie. Sie schufen Zuversicht, wieder aus der Krise herauszufinden. Scheindebatten, Ablenkungsmanöver und die Proklamation praxisfern erscheinender Ziele zerstören es wieder. Und erwecken den Eindruck, als würde in Wien und Brüssel mehr Kraft in das Verschleiern von Problemen investiert als in deren Lösung.
Dass die Verträge zwischen der EU-Kommission und den Pharmafirmen weitgehend unter Verschluss sind, ist das letzte Puzzleteilchen, das ins Bild passt.