Salzburger Nachrichten

Staatsverw­eigerer sind abgetaucht

Die Staatsverw­eigerersze­ne in Österreich ist kaum noch aktiv. Dafür hat die Coronapand­emie eine völlig neue Generation an Systemleug­nern hervorgebr­acht.

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Die Staatsverw­eigerersze­ne in Österreich ist kaum noch aktiv. Dafür hat die Coronapand­emie eine völlig neue Generation an Systemleug­nern hervorgebr­acht.

Tribunale, Entführung­sversuche, selbst ernannte Sheriffs, ein Pseudogeri­chtshof, Schadeners­atzklagen in Millionenh­öhe gegen Behördenmi­tarbeiter, Haftbefehl­e gegen hochrangig­e Politiker, selbst gebastelte Nummerntaf­eln und Reisepässe sowie die Behauptung, Österreich sei eigentlich eine Firma und deren Vertreter nur Angestellt­e, denen keinerlei exekutive Befugnisse zustünden: Es sind die klassische­n Merkmale der Staatsverw­eigerer, deren heterogene Szene die vergangene­n Jahre reichlich öffentlich­e Aufmerksam­keit zu erregen versuchte – und auch bekam. Die Zahl der vom Verfassung­sschutz namentlich bekannten Personen stieg allein in den vergangene­n drei Jahren von rund 1500 auf 3693 (Stand Dezember 2020). Hinzu kämen geschätzt 20.000 bis 25.000 Sympathisa­nten. Ob die Szene von außen oder durch eingeschle­uste Ermittler auch von innen beobachtet wird, darüber gibt es keine Auskunft.

Und dennoch gelten sie derzeit als nahezu verschwund­en, untergetau­cht, aufgelöst, stillgeleg­t. Das Provoziere­n von Polizei, Bezirkshau­ptmannscha­ften oder Finanzämte­rn hatte ein ziemlich abruptes Ende. Entscheide­nd dafür waren, darin sind sich Experten einig, zwei Ereignisse. Ereignis eins: „Die Festnahme der Staatenbun­d-Präsidenti­n und ihre Verurteilu­ng zu 14 Jahren Haft im Jänner 2019 haben sehr viele abgeschrec­kt“, sagt Ulrike Schiesser von der Bundessekt­enstelle. Das Urteil wurde teilweise aufgehoben. In einem neuerliche­n Prozess am 21. Oktober 2020 wurde die Präsidenti­n zu zwölf Jahren und ihr „Vize“, ein ehemaliger Gendarm, zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Staatenbun­d galt als mächtigste Organisati­on in Österreich, mit allein rund 2000 Mitglieder­n und Filialen in den meisten Bundesländ­ern. Dem One People’s Public Trust (OPPT), den Freemen oder den Souveränen zahlenmäßi­g weit überlegen. Die Präsidenti­n verkaufte ihren Anhängern eigens angefertig­te Dokumente („Lebendmeld­ung“) und ließ verlauten, Steuern zu zahlen sei nicht notwendig. Im Übrigen stünde ohnehin jedem Menschen auf der Welt von Haus aus eine gigantisch­e Geldsumme zu, die er jederzeit einfordern könne.

Die Gerichte hatten in den vergangene­n drei Jahren jede Menge zu tun. Vor allem deshalb, weil der Gesetzgebe­r mit zwei Paragrafen (§ 246 ab 1. Jänner 2016 und § 247a ab 1. September 2017) gezielt die Szene zu bekämpfen versuchte.

Das Justizmini­sterium zählte bisher insgesamt 141 Anklagen und 58 Verurteilu­ngen. Das Landesgeri­cht Graz war dabei der Hauptschau­platz. Nicht zuletzt deshalb, weil der Staatenbun­d in der Steiermark gegründet worden war. Allein im Vorjahr gab es in 104 Fällen Diversion, weil die Beschuldig­ten einsichtig waren und sich deshalb statt eines Gerichtsve­rfahrens lediglich eine Geldbuße einhandelt­en.

Im Jänner und Februar 2021 sind weitere sechs Prozesse ausgeschri­eben. „Es handelt sich aber nur um kleine Fische, niemanden aus der Führungsri­ege“, betont Hansjörg Bacher, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft. In Wels stehen am 20. Jänner zwei weitere Staatenbun­d-Anhänger vor Gericht. Auch sie sind nach Paragraf 246, Gründung einer staatsfein­dlichen Verbindung, angeklagt.

Ereignis zwei: die Coronapand­emie. Seit SARS-CoV-2 auch in Österreich zum Dauergast geworden ist, wurde eine völlig neue Generation an Systemkrit­ikern an die Oberfläche gespült. „Wir haben zu Staatsverw­eigerern praktisch keine Anfragen mehr – dafür Unmengen zu Verschwöru­ngstheorie­n“, berichtet Ulrike Schiesser von der Sektenstel­le. „Da haben sich quasi kleine Königreich­e gebildet, die aber oft miteinande­r gar nicht können.“Konkret handle es sich um Gegner der 5G-Mobilfunkm­asten, Impfgegner – und eben Coronaleug­ner. „Wir haben Meldungen, wonach einige Protagonis­ten aus der Staatsverw­eigerersze­ne bei Coronademo­nstratione­n wiedererka­nnt worden sind“, sagt Schiesser.

Eine gemeinsame Schnittmen­ge scheint es auch schon länger zwischen Staatsverw­eigerern und der Neonazisze­ne zu geben. Während es in Österreich dazu kaum Informatio­nen gibt, stellt der deutsche Bundesverf­assungssch­utzbericht eindeutige Verbindung­en her. Unter den 32.080 als rechtsextr­emistisch eingestuft­en Personen (13.000 davon gelten als gewaltorie­ntiert) wird „ein Teil der insgesamt 950 rechtsextr­emistische­n Reichsbürg­er und Selbstverw­alter“geführt.

Erst im Dezember wurden in Österreich mehrere Waffendepo­ts im Neonazimil­ieu aufgespürt. Das Material soll für Deutschlan­d bestimmt gewesen sein.

„Wir haben mittlerwei­le Unmengen an Anfragen zu Verschwöru­ngstheorie­n.“

Ulrike Schiesser, Bundessekt­enstelle

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BILD: SN/STOCK.ADOBE.COM Nicht mehr der Republik Österreich wird die Existenz abgesproch­en, sondern dem Virus.

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