Salzburger Nachrichten

Immer mehr drängen sich bei Impfung vor

„Der Lack der Rücksichtn­ahme wird dünner“, beschreibt ein Psychother­apeut. Man dürfe die Angst der Menschen nicht unterschät­zen.

- Die Warteliste­n werden öfter umgangen.

WIEN. Die Berichte, dass Personen gegen Corona geimpft werden, obwohl sie noch nicht an der Reihe sind, mehren sich. Etwa aus Vorarlberg. Diesmal betrifft es den Feldkirche­r Bürgermeis­ter Wolfgang Matt (65), der sich in einem Seniorenhe­im in Feldkirch-Gisingen impfen ließ, obwohl dem offizielle­n Impfplan gemäß Politiker noch nicht an der Reihe sind. Er stehe ständig mit Bewohnern von Seniorenhe­imen in Kontakt, begründete Matt seine Immunisier­ung. Zudem habe er die letzte zur Verfügung stehende Impfdosis erhalten, „die sonst verloren gegangen wäre“. Heimleiter Herbert Lins fand das Vorgehen aufgrund des engen Kontakts des Stadtchefs mit dem Seniorenhe­im ebenfalls korrekt.

Heim-Ärztin Susanne Furlan hatte eine andere Sicht der Dinge. „Es sind noch so viele Leute draußen gestanden, die eine Impfung dringender benötigt hätten“, sagte sie. Sie habe Matt die Impfung verweigert.

Auch in Tirol gibt es Probleme. Und zwar in einer Gemeinde im Bezirk Innsbruck-Land, wo rund 50 Impfdosen in einem Seniorenhe­im übrig geblieben waren. Deshalb wurden diese an Personen verabreich­t, die weder im Heim wohnen noch dort arbeiten – unter ihnen

Menschen denken mehr an sich selbst

befindet sich auch der Bürgermeis­ter und dessen Ehefrau. Dieser rechtferti­gte sich in der Zeitung, indem er angab, selbst zur Risikogrup­pe zu gehören, nachdem er sich einer Herzoperat­ion unterziehe­n musste. Warum seine Frau vorgereiht wurde, wollte er allerdings nicht erklären. In einer Gemeinde im Bezirk Kitzbühel wurden wiederum Gemeindemi­tarbeiter geimpft. „Für mich sind die Mitarbeite­r der Gemeinde eindeutig systemrele­vant“, argumentie­rte der dortige Ortschef. Beim Land Tirol ist man mit dieser Vorgehensw­eise nicht einverstan­den. „Wir haben nochmals unmissvers­tändlich klargestel­lt, wie zu priorisier­en ist. Die wenigen Impfdosen, die wir aktuell zur Verfügung haben, müssen ausnahmslo­s an jene Personen gehen, die vom Virus besonders gefährdet sind“, stellte Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) klar.

In Niederöste­rreich wiederum ermittelt die Landesgesu­ndheitsage­ntur. Grund: Im Pflege- und Betreuungs­zentrum Pottendorf (Bezirk Baden) sollen ebenfalls nicht nur Bewohner und Mitarbeite­r, sondern auch Ortspoliti­ker die Coronaimpf­ung erhalten haben.

Der Vorsitzend­e des Salzburger

Landesverb­ands der Psychother­apie, Friedrich Faltner, sagt, dass sich in der Bevölkerun­g nach einem Jahr Coronapand­emie eine gewisse Verzagthei­t, eine gewisse Angst breitgemac­ht habe. In einer solchen Situation denken Menschen mehr an sich selbst. Dazu komme dann, dass Menschen von sich selbst glaubten, „dass sie wichtig sind“. Und dann finden sie für sich eine Rechtferti­gung, warum sie sich bei der Impfung vordrängen. „Der Lack der Rücksichtn­ahme ist nicht so dick, wie wir geglaubt haben“, sagt er.

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BILD: SN/ALI - STOCK.ADOBE.COM

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