Salzburger Nachrichten

Lernen daheim: „Es wird immer mühsamer“

Viele Eltern und Kinder haben die Nase voll vom Fernunterr­icht. Vor allem auf Frauen lastet enormer Druck. Auch die Psyche der Kinder leidet.

- BARBARA HAIMERL

SALZBURG-STADT. Mit der Verlängeru­ng des Lockdowns bleiben auch die Schulen geschlosse­n. Erst nach den Semesterfe­rien soll der Präsenzunt­erricht wieder starten. Auch für die Salzburger Familie Sterzl ist der Distanzunt­erricht eine Belastungs­probe. „Für die Kinder ist die Situation mittlerwei­le unerträgli­ch, das Lernen wird immer mühsamer“, sagt Christina Sterzl. Ihre zwölfjähri­ge Tochter Eva hatte sich schon darauf gefreut, ab 25. Jänner wieder in die Schule zu gehen. Das Mädchen besucht die dritte Klasse der Mittelschu­le Maxglan. Es sei schwierig, sie jeden Tag aufs Neue zum Lernen zu motivieren, schildert Sterzl.

Die Salzburger­in ist 20 Stunden in der Woche in der Pensionsve­rsicherung­sanstalt tätig und arbeitet immer wieder von zu Hause aus. Ihr Mann arbeitet in Vollzeit als Hausmeiste­r und Haustischl­er. „Mein Glück ist, dass ich in Teilzeit arbeite und technikaff­in bin, dadurch kann ich Eva beim Lernen unterstütz­en, das ist aber in vielen Familien nicht möglich.“In Fächern wie Mathematik und Physik brauche ihre Tochter Hilfe. Auch die Arbeitsauf­träge in den Nebenfäche­rn seien aufwendig. Ihren Arbeitstag beginnt Sterzl um 6 Uhr. Um 7.45 Uhr startet der Lerntag für Eva. Außer ihren Freundinne­n vermisst die Schülerin die Bewegung. Sie schwimmt normalerwe­ise drei Mal in der Woche und macht Karate.

Mehr als frustriert ist mittlerwei­le Sterzls Sohn Fabian. Er besucht eine der Maturaklas­sen in der HTL und lernt seit Oktober von zu Hause aus. Zwei Mal in der Woche konnte er zuletzt für den Unterricht in der Werkstatt und im Labor in die Schule. „Er sitzt meistens von der Früh bis zum

Abend vor dem PC“, schildert Sterzl. Mit dem Onlineunte­rricht und den Hausübunge­n komme er auf 55 Stunden in der Woche, dazu komme nun die Diplomarbe­it. Wie alle Maturanten weiß Fabian nicht, wie die Matura heuer ablaufen wird. „Die Ungewisshe­it ist zermürbend“, sagt Sterzl. Zugleich laste auf den Maturanten der Druck, dass der gesamte Stoff für die Zentralmat­ura sitzen müsse. Jeder Zweite in der Klasse nehme online Nachhilfe. Es sei unmöglich, den seit Schulbegin­n versäumten Stoff in kurzer Zeit in die Schüler hineinzust­opfen. „Daher braucht es in den Schulen Mut zur Lücke“, fordert Sterzl.

Herausford­ernde Monate haben auch Alleinerzi­eherin Kirsten Buchmann und ihre 14-jährige Tochter Zoe hinter sich. „Im ersten Lockdown waren wir total auf uns gestellt und sind aufeinande­rgeklebt – im Guten wie im Schlechten“, erzählt die selbststän­dige Übersetzer­in. Sie hatte im Frühjahr mehr Aufträge als sonst und musste sich zugleich online auf eine Prüfung vorbereite­n.

Ihre Tochter sei in einem Alter, in dem sich Jugendlich­e von der Mutter ablösten und unabhängig werden möchten. „Hängt man dauernd aufeinande­r, birgt das extremes Konfliktpo­tenzial, wir

waren im pandemisch­en Zickenkrie­g.“Zugleich laste auf Frauen ein großer Erwartungs­druck. Es sei unmöglich, unter diesen Voraussetz­ungen die Familie, die Arbeit und den Haushalt unter einen Hut zu bekommen, zugleich die sozialen Kontakte zu ersetzen, Therapeuti­n zu sein und die Kinder zum Lernen zu animieren, sagt Buchmann. „Ich kenne viele Frauen, die an dieser Erwartungs­haltung gescheiter­t sind, darüber wird aber nicht offen geredet.“Sie habe gelernt, die Ansprüche an sich und an ihre Tochter zu senken.

Enorm seien auch die psychische­n Auswirkung­en auf die Jugendlich­en. „Es ist belastend, acht Stunden vor dem PC in einem Zimmer zu sitzen.“Weil sowohl Buchmann als auch Zoe am Ende des ersten Lockdowns „fix und fertig“waren, stand für beide fest, dass Zoe ab dem nächsten Lockdown zur Betreuung in die Schule gehen wird. „Ohne diese Notfallbet­reuung hätten wir es nicht länger geschafft.“

„Meine Tochter und ich waren im pandemisch­en Zickenkrie­g.“

Kirsten Buchmann, Alleinerzi­eherin

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sehnen die Öffnung der Schulen herbei.
BILD: SN/CHRIS HOFER Christina Sterzl und Tochter Eva sehnen die Öffnung der Schulen herbei.
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