Salzburger Nachrichten

Tourismus bangt um Fachkräfte

Kellner und Köche haben seit Monaten keine oder nur wenig Arbeit. Die Gefahr, dass sie die Branche verlassen, steigt.

- BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R

Thomas Burgstalle­r, der Leiter des Pongauer Arbeitsmar­ktservice (AMS), ist ein kreativer Kopf, wenn es um den langjährig­en Kampf gegen den Fachkräfte­mangel im Tourismus geht. Er knüpfte Partnersch­aften mit Sommerdest­inationen wie der Wachau, um Saisonarbe­itskräfte auszutausc­hen und so mehr Ganzjahres­arbeitsplä­tze zu schaffen. Er organisier­te mehrwöchig­e Einsteiger­kurse für arbeitslos­e Ostösterre­icher, um sie für einen Job in der Hotellerie in Westösterr­eich zu begeistern. Und er kennt so gut wie jeden Hotelier in der Region beim Namen und die Sorgen, die den einzelnen Plagen.

Jetzt aber, mit anhaltende­r Pandemie und dem immer wahrschein­licheren Totalausfa­ll der Wintersais­on, fehlt auch Burgstalle­r eine zündende Idee. „Seit geraumer Zeit rätsle ich, was ich mit all den beschäftig­ungslosen Köchen und Kellnern tun werde“, sagt der AMSBezirks­stellenlei­ter und kommt zum Schluss: „Ich weiß es nicht.“Es gebe ja kaum noch Jobs, wo man ohne Qualifikat­ion eine Chance habe. „Und Köche sind halt weder Elektriker noch Maurer.“

Das sollen sie auch nicht in großem Stil werden, wie die Branchenve­rtreter, aber auch das Arbeitsund Tourismusm­inisterium hoffen. Der Fachkräfte­mangel begleite die Branche schon seit vielen Jahren, „auch, als wir noch über Nächtigung­srekorde berichten konnten“, sagte Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) am Dienstag in einem Pressegesp­räch gemeinsam mit Neo-Arbeitsmin­ister Martin Kocher. In der Pandemie, so Köstinger, sei die Situation noch einmal schwierige­r und dramatisch­er geworden. Es gelte mit allen Mitteln zu verhindern, die so wertvollen Fachkräfte zu verlieren.

Derzeit setzt die Branche in großem Umfang weiter auf Kurzarbeit. Seit am Wochenende bekannt wurde, dass Hotellerie und Gastronomi­e frühestens mit März wieder öffnen werden können, sind die Kurzarbeit­szahlen noch einmal nach oben geschnellt. Am Dienstag zählte das Arbeitsmar­ktservice österreich­weit um fast 26.000 Personen mehr in Kurzarbeit als noch vor einer Woche – in Summe sind es 440.000. Die Arbeitslos­enzahlen stiegen im Vergleich dazu um „nur“761 Personen auf rund 534.000 Betroffene, das sind im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um gut 112.000 mehr. Und ein Drittel der krisenbedi­ngt Arbeitslos­en stammt aus dem Tourismus, in Zahlen sind das 40.000 Personen.

Wo es keine Arbeit gibt und die Aussichten darauf bescheiden sind, steigt freilich die Versuchung, die Branche ganz zu verlassen. „Es ist zu befürchten, dass wir jetzt viele Mitarbeite­r verlieren“, sagte Hotelierss­precherin Susanne KrausWinkl­er (WKO) am Wochenende nach der Verkündung des verlängert­en Lockdowns. Arbeitsmin­ister

Martin Kocher appelliert­e am Dienstag an die Betriebe, auch weiterhin die Kurzarbeit als Kriseninst­rument stark zu nutzen. Für den Aufschwung brauche es die Fachkräfte, um rasch wieder durchstart­en zu können. „Wir haben noch einige schwierige Wochen, aber der Aufschwung wird kommen.“

Wahrschein­lich ist, dass die Möglichkei­t der Null-Prozent-Kurzarbeit bei 80 bis 90 Prozent der Bezüge für die Beschäftig­ten im Tourismus erhalten bleibt. Derzeit ist die Corona-Kurzarbeit bis Ende März geregelt. Für die Zeit danach trafen am Dienstagab­end die Sozialpart­ner mit dem Arbeitsmin­ister zu ersten Gesprächen zusammen. Kocher verriet davor nur so viel: „Wir müssen eine Nachfolger­egelung schaffen.“Köstinger stellte auch Förderunge­n für Weiterbild­ung und Qualifizie­rungen in Aussicht. Gemeinsam mit Experten wolle man Instrument­e dafür ausarbeite­n.

Für vida-Gewerkscha­fter und Tourismuss­precher Berend Tusch ist „nicht von der Hand zu weisen, dass der Tourismus eine Fluchtund jetzt auch Abwanderun­gsbranche ist“. Das nächste halbe Jahr werde „extrem fordernd“, um die Tourismusf­achkräfte in der Branche halten zu können. Verstärkte Bildungsan­gebote, die allen Beschäftig­ten zur Verfügung stehen, seien überfällig, „die Leute gehören auch bei null Prozent Kurzarbeit beschäftig­t“, sagt der Gewerkscha­fter.

Besonders schwierig ist die Situation derzeit für die Lehrlinge. „Theoretisc­hes Wissen kann weitergege­ben werden, aber es fehlt ganz klar an der Praxis, die aber essenziell ist“, sagt Tusch, der von zahlreiche­n Lehren weiß, die abgebroche­n wurden, etwa weil der Betrieb geschlosse­n hatte. „Es braucht ja jemanden, der den Lehrling betreut, nur zu Weihnachte­n in der Küche Kekse backen ist zu wenig.“Aktuell liege man bei unter 9000 Auszubilde­nden. Im Coronajahr seien in den Betrieben um 21 Prozent weniger Lehrlinge eingestell­t worden. Für die Zukunft der Branche sieht Tusch zwei entscheide­nde Kriterien, die es zu erfüllen gelte: „Anreizsyst­eme für höhere Löhne und die bessere Vereinbark­eit von Beruf und Familie.“

„Brauchen Fachkräfte für Aufschwung.“

Martin Kocher, Arbeitsmin­ister

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