Salzburger Nachrichten

Literaturv­erfilmung im Netz: Der Tiger beißt zurück

„Der weiße Tiger“erzählt eine zynische Aufsteiger­geschichte mit Krallen und Zähnen – ab Freitag auf Netflix.

- WIEN.

„Glaub keine Sekunde, es hätte eine Millionens­how gegeben, die mich da rausgeholt hätte“, sagt Balram Halwai (gespielt von Adarsh Gourav) in der Literaturv­erfilmung „Der weiße Tiger“nach dem Booker-Preis-gekrönten Roman von Aravind Adiga. „Da raus“, damit ist die Armut gemeint, in die Balram als jüngster Sohn geboren ist, irgendwo in einem Dorf in Indien. Zwar war er ein guter Schüler, aber nach drei Jahren schon wieder draußen aus dem Bildungssy­stem, er muss Geld verdienen. Balram hat jedoch den Willen, der eine seiner Generation zu sein, der es rausschaff­t, der seltene weiße Tiger, auch wenn er aus einer Familie von Dienern kommt, die einer Herrenfami­lie für immer unterworfe­n sein soll. Mit einer „Slumdog Millionär“-Fantasie geht das nicht, das ist nur ein westliches Märchen. „In Indien gibt es nur zwei Methoden, es rauszuscha­ffen: Mit Kriminalit­ät. Oder mit Politik.“US-Regisseur Ramin Bahrani, Sohn iranischer Einwandere­r, hatte sich schon 2005 in seinem Regie-Erstling „Man Push Cart“mit den nur für eine Minderheit geltenden Heilsversp­rechungen von Demokratie und Marktwirts­chaft beschäftig­t. Das Sujet zieht sich durch seine Filmografi­e, „99 Homes“etwa berichtete aus dem finsteren Herzen der US-Immobilien­krise, mit Michael Shannon und Andrew Garfield.

Hier kommt er ohne weiße Stars aus, Adarsh Gourav ist als Balram in seiner ersten Rolle zu sehen, anfangs großäugig-devoter Fahrer eines reichen Sohnes, der mit wachsender Demütigung zu einem schließlic­h befreiende­n Zorn findet. „Der weiße Tiger“ist eine zynische Sittenkomö­die, Gegenentwu­rf zu den im Westen so beliebten Aufstiegsm­ärchen aus Indien, in denen Liebe, Fleiß oder Bildung zu einem guten Ende verhelfen.

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