Die EU-Chefs überlegen neue Reisebeschränkungen
Die Union will sich vor den neuen, hoch ansteckenden Virusmutationen schützen. Die Überlegungen reichen bis zum vorübergehenden Verbot von touristischen Reisen.
Der belgische Premierminister Alexander De Croo ließ am Donnerstag mit der Forderung aufhorchen, alle touristischen Reisen innerhalb der EU vorübergehend zu verbieten. Der Liberale begründete dies damit, dass Appelle und Reisewarnungen nicht ausgereicht hätten, um die Menschen vom Auslandsurlaub abzuhalten.
De Croos Vorstoß war nur wenige Stunden vor einem Videogipfel erfolgt, auf dem die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstagabend über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Ausbreitung der hoch ansteckenden Virusmutationen berieten. Diese neuen Virusvarianten waren zuerst in Großbritannien, Südafrika und Brasilien festgestellt worden. Nun ist die Sorge groß, dass sie in die EU eingeschleppt werden.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte Druck. Sie schloss neuerliche Grenzkontrollen nicht mehr aus. „Es geht nicht darum, flächendeckende Grenzschließungen einzuführen“, sagte sie. Diese könnten aber das letzte Mittel sein, wenn Nachbarländer nicht ähnlich in der Pandemiebekämpfung vorgingen. Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstützte strikte Regeln, um die Verbreitung neuer Mutationen zu verhindern.
Der Gipfel beriet auch über einen EU-Impfpass und Beschaffung von Impfstoff. Die EU-weite Anerkennung von Schnelltests ist fix.
BRÜSSEL. Erst eineinhalb Prozent der EU-Bevölkerung haben bisher zumindest eine Teilimpfung gegen Covid-19 erhalten. Diese Zahl hat die Datenplattform „Our World in Data“erhoben. Sie illustriert, wie schleppend die Impfungen in der Union noch voranschreiten.
Gleichzeitig aber breiten sich die neuen, hoch ansteckenden Virusvarianten, die zuerst in Großbritannien, Südafrika und Brasilien festgestellt wurden, immer schneller auch auf dem europäischen Kontinent aus. Vor diesem Hintergrund berieten die 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in einer Videokonferenz das weitere Vorgehen. Der Kampf gegen die Pandemie findet an mehreren Fronten statt.
Grenzfrage
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss neuerliche Grenzkontrollen innerhalb der Union nicht aus. Diese könnten aber nur Ultima Ratio, also ein allerletztes Mittel, sein. Sie drängte auf ein gemeinsames Vorgehen der EULänder, um zu verhindern, dass Virusmutationen über Einreisen in die EU getragen werden. Man werde auch mit der Schweiz reden müssen, sagte sie.
Der belgische Regierungschef Alexander De Croo will noch einen Schritt weiter gehen. Er forderte ein vorübergehendes Verbot aller touristischen Reisen. „Reiserückkehrer können das Virus in ihrem Koffer mitbringen“, sagte der Liberale. Reisewarnungen allein hätten sich als nicht ausreichend erwiesen, erklärte er. Damit sei nicht verhindert worden, dass allein in Belgien über Weihnachten und Neujahr 160.000 Menschen ins Ausland gereist seien.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) befürwortete ebenfalls ein strengeres Grenzregime.
Tests
Im Vorfeld des Gipfels haben sich die Botschafter der EUStaaten bereits auf die wechselseitige Anerkennung von Antigen-Schnelltests geeinigt. Das ist ein erster und wichtiger Schritt, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: besserer Schutz vor dem Einschleppen des Virus bei gleichzeitiger Bewahrung der Reisefreiheit für Berufspendler. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte verpflichtende Schnelltests an der deutschtschechischen Grenze gefordert.
Tourismus
Weitere Einschränkungen der Reisefreiheit sind eine schlechte Nachricht für die Tourismusbranche, die unter beispiellosem Druck steht. Daher setzen einige Mittelmeeranrainer, die auf die nächste Sommersaison hoffen, auf die Idee eines europäischen Impfpasses. Der soll seinen Inhabern ungehindertes
Reisen innerhalb der EU erlauben. Der Vorschlag kam aus Griechenland. Spanien und
Portugal stimmten sofort zu, andere Länder sind deutlich reservierter. Einer der größten Skeptiker ist Deutschlands CDU-Innenminister Horst Seehofer. Die Impfung zur Bedingung für die Personenfreizügigkeit zu machen komme einem Impfzwang gleich, argumentiert er. Andere Stimmen führen ins Treffen, dass Privilegien für Geimpfte
nur dann nicht gleichheitswidrig seien, wenn alle Menschen Zugang zur Impfung hätten. Davon ist die EU noch weit entfernt.
In einem ersten Schritt wollten sich die 27 EU-Staaten darauf einigen, eine gemeinsam anerkannte Impfbescheinigung einzuführen – allerdings in Form eines medizinischen Dokuments und nicht als ein Pass, der Sonderrechte garantiert.
Wie das Dokument aussehen und welche Daten es enthalten soll, muss erst noch im Detail verhandelt werden. Geht es nach der EU-Kommission, soll das bis Ende Jänner erledigt sein.
Impfungen
Österreichs Sebastian Kurz hat seine Forderung nach schnelleren Entscheidungen der EUArzneimittelbehörde (EMA) auf dem Gipfel erneuert. Unterstützt wurde er darin von Mette Frederiksen (Dänemark), Kyriakos Mitsotakis (Griechenland) und Andrej Babiš (Tschechien). Gemeinsam forderten sie ein „starkes Signal“des Europäischen Rats an die EMA, „um sicherzustellen, dass das Zulassungsverfahren für Impfstoffkandidaten so effizient wie möglich ist“.
Im konkreten Fall geht es um die Zulassung des Impfstoffs von AstraZeneca. Er ist in Großbritannien bereits im Einsatz. Die Entscheidung der EMA wird in einer Woche erwartet. „Jeder Tag zählt“, sagte der Kanzler. Österreich erwartet im ersten Quartal zwei Millionen Dosen des Serums und hofft, dass es für alle Altersgruppen zugelassen wird. Derzeit hat Österreich die ersten zugelassenen Impfstoffe von BioNTech und Moderna im Einsatz. Am Mittwoch waren noch rund 100.000 Dosen vorrätig.