„Bedrohungen werden mehr“
Der Bundespräsident fordert am Tag der Wehrpflicht ein handlungsfähiges Bundesheer. Das Heer ortet in einem neuen Risikobild eine „Verschlechterung der Sicherheitslage Österreichs“.
WIEN. Üblicherweise spricht der Bundespräsident beruhigend und begütigend. Beim heurigen Tag der Wehrpflicht war das anders: „Die Bedrohungen werden nicht weniger, sie werden mehr. Und sie können überraschend auftreten“, warnte Alexander Van der Bellen. Corona habe gezeigt: „Der Alltag kann von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt werden.“Daher brauche Österreich ein handlungsfähiges Bundesheer und das Bundesheer die notwendigen Mittel zur Aufgabenerfüllung, mahnte Van der Bellen.
Er verwies in seiner Rede ausdrücklich auf das neue Risikobild, das im Verteidigungsministerium über die aktuelle Bedrohungslage Österreichs und Europas erstellt wurde. Bei der Präsentation dieses Papiers sprach Arnold Kammel, der Direktor für Sicherheitspolitik und Kabinettschef der Verteidigungsministerin, ausdrücklich von einer „Verschlechterung der Sicherheitslage Österreichs“.
Denn an die Stelle des offenen Kriegs zwischen Staaten seien hybride Bedrohungen getreten, warnt Kammel. Diese würden ohne völkerrechtliche Regeln und ohne Vorwarnzeit schlagend: Terroranschläge, Cyberattacken, Extremismus, politischer Islam, gezielte Desinformation zum Schüren von Unfrieden in der Gesellschaft.
Das Risikobild des Bundesheeres verweist auch auf die Gefahr eines flächendeckenden Zusammenbruchs des Stromnetzes (Blackout), an dem Europa vor Kurzem nur knapp vorbeigeschrammt ist. Ebenso werden die unabsehbaren Folgewirkungen der Coronapandemie und die Migration als hybride Bedrohungen genannt. Auch die Auslandseinsätze würden in Zukunft gefährlicher werden.
Kammel zieht daraus den Schluss, dass das Bundesheer seine Einsatzbereitschaft erhöhen und seine Autarkie verbessern müsse. Auch sollte die europäische Kooperation verbessert werden, wobei es ein Irrtum sei zu glauben, damit Geld sparen zu können.
Diese Äußerungen stehen in deutlichem Gegensatz zur Ankündigung einer Heeresreform im vergangenen Sommer, die eher auf Abrüstung abgezielt hatte. Diese Pläne scheinen verworfen worden zu sein. Aufgrund des neuen Risikobildes soll bis Mitte des Jahres eine andere Reform entworfen werden. Sie soll, wie Generalstabschef Robert Brieger erst vor wenigen Tagen sagte, einen „vernünftigen Ausbau“des Bundesheeres bringen.
„Wir müssen uns wappnen, denn wir müssen mit Überraschungen rechnen“, sagte auch der Militäranalytiker Brigadier Walter Feichtinger, der beim Tag der Wehrpflicht sprach. Er ortet in der gesamtstrategischen Lage gefährliche Entwicklungen – etwa den Kampf um Platz eins zwischen China und den USA, die zahlreichen Konfliktherde von der Ukraine bis zum Gasstreit zwischen der Türkei und Zypern oder der weiterhin existierende „Islamische Staat“. Diese unsichere Gesamtlage führe derzeit weltweit zu einer massiven Aufrüstung, sagte Feichtinger.
Europa sieht er eher schlecht auf die kommenden Bedrohungen vorbereitet. Der Zusammenhalt in Europa sei schwach, das Gefahrenbewusstsein unterentwickelt, die Verwundbarkeit der Gesellschaft hoch.
Der Tag der Wehrpflicht wird von den wehrpolitischen Vereinen jährlich am Jahrestag der Wehrpflicht-Volksbefragung 2013 abgehalten. Dass heuer erstmals der Bundespräsident bei der Tagung sprach, unterstreicht den neuen Stellenwert, den das Bundesheer seit seinen Einsätzen in der Coronakrise hat.