Salzburger Nachrichten

„Juristisch wäre eine Impfpflich­t nicht das Problem“

Verfassung­srechtler Manfred Matzka über zivilen Ungehorsam, die Möglichkei­t einer Impfpflich­t und die Grenzen der Grundrecht­e und der Freiheit.

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SN: Muss man den Politikern vertrauen, um sich an Gesetze zu halten?

Nun, es gibt den Betriff der „Resilienz der Rechtsordn­ung“. Das ist der Glaube der Menschen an die Richtigkei­t der Gesetze. Und es ist eben mit den Händen zu greifen: Die Bereitscha­ft, Gesetzen Folge zu leisten, die ist abnehmend. Momentan wird das natürlich besonders deutlich. Einmal ehrlich, wer hat Silvester auf Punkt und Beistrich genau so gefeiert, wie es vorgeschri­eben war? Das geht letztlich aber so weit, dass dann ein „Recht auf Widerstand“strapazier­t wird, ganz so, als lebten wir in einer Diktatur.

SN: Viele glauben, das wäre spätestens dann der Fall, wenn der Staat eine Impfpflich­t einführen würde – was jedoch gar nicht geplant ist.

Ob eine Impfpflich­t klug wäre, das ist fraglich, aber aus politische­n Gründen. Juristisch gesehen ist das meiner Einschätzu­ng nach aber nicht das Problem.

SN: Ein Impfzwang wäre aber ein starker Eingriff in die Grundrecht­e?

Ja, das würde einen Eingriff darstellen. Aber solche Eingriffe sind in unserer Verfassung – in Grenzen – vorgesehen. Sie müssen dazu aber drei Voraussetz­ungen erfüllen: Sie müssen eindeutig auf ein Gesetz rückführba­r sein; genau wegen dieses Mangels hat der Verfassung­sgerichtsh­of ja auch Coronavero­rdnungen des Bundes aufgehoben. Die Grundrecht­seingriffe müssen außerdem geboten sein, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, und das gehört exakt dokumentie­rt. Und: Die Eingriffe müssen verhältnis­mäßig sein, wobei dieser Begriff durch eine große Menge an Rechtsprec­hung bereits gut umrissen ist.

SN: Das sind also die Grenzen der Grundrecht­e?

Ja, denn alle Freiheiten sind relative Freiheiten. Die Grundrecht­e haben auch Grenzen, oben, unten, links und rechts. Vielleicht eine Ausnahme ist das Recht auf Leben, das fast gar keinen Einschränk­ungen unterliegt. Beim Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit kann es bereits Abstriche geben – siehe allfällige Pflichten zu Coronatest­s oder Coronaimpf­ung, welche sehr wohl grundrecht­skonform formulierb­ar sind. Es gibt die Erwerbsfre­iheit, die Bewegungsf­reiheit, den Gleichheit­sgrundsatz – aber eben immer mit Einschränk­ungen dort, wo andere Rechte berührt sind. Welches Recht nun schwerer wiegt als das andere und in welchem Fall, dazu gibt es eine Latte an Judikatur.

SN: Damit ist wohl auch schon beantworte­t, ob es grundrecht­swidrig wäre, wenn ein Nicht-Geimpfter weiterhin nicht ins Konzert oder ins Fitnessstu­dio darf, während die Immunisier­ten es bereits wieder dürfen.

Ich sehe das so. Private Unternehme­r können da selbstvers­tändlich von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und entscheide­n, potenziell Infizierte nicht mehr einzulasse­n. Auch der Staat könnte sicher solche Verordnung­en erlassen. Freilich mit Einschränk­ungen: Der Zugang zu medizinisc­her Nothilfe könnte keineswegs verwehrt werden, auch nicht der Zutritt zu einem Lebensmitt­elgeschäft. Sehr wohl aber zum Nagelstudi­o. Und ich nehme an, dass ein Betretungs­verbot im öffentlich­en Verkehrs wie den ÖBB zulässig wäre. Sogar dann, wenn der Betreiber kommunal ist, die Wiener U-Bahn wäre ein Beispiel.

Zur Person Manfred Matzka:

 ??  ?? Der langjährig­e Leiter der Präsidials­ektion im Kanzleramt diente schwarzen wie roten Regierungs­chefs, war Teil des Österreich-Konvents und Berater von Kanzlerin Brigitte Bierlein. Zuletzt gab er „100 Jahre Verfassung“heraus (facultas).
Der langjährig­e Leiter der Präsidials­ektion im Kanzleramt diente schwarzen wie roten Regierungs­chefs, war Teil des Österreich-Konvents und Berater von Kanzlerin Brigitte Bierlein. Zuletzt gab er „100 Jahre Verfassung“heraus (facultas).

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