Salzburger Nachrichten

Vielfalt schlägt Einfalt – das ist doch logisch

Der wilde Mix in der Regierung des neuen Präsidente­n Joe Biden ist für Unternehme­n eine Inspiratio­n.

- Gertraud Leimüller

Für das prüde Amerika, in dem Paare, die sich in der Öffentlich­keit küssen, getadelt werden und selbst in der Sauna Badekleidu­ng getragen werden muss, ist die Personalau­swahl ein Hammer: ein Schwuler, eine Transfrau, eine ehemalige Obdachlose, mehrere Farbige und Einwandere­r – die designiert­en Minister und Staatssekr­etäre der Biden-Regierung in den USA sind eine Provokatio­n für viele im Land. Und sie sind als schrilles Signal einer Systemkorr­ektur nach der Ära Trump zu verstehen, die sich ganz auf die Rückkehr des starken weißen Mannes konzentrie­rt hatte.

Doch die Symbolkraf­t des wilden Personalmi­x im Kabinett geht weit über die Politik hinaus. Sie dient als Inspiratio­n für die Wirtschaft, in der viele Unternehme­n ratlos und eingeschüc­htert die Wucht der Veränderun­g in den Märkten beobachten und sich fragen, wie sie den Wandel bewältigen sollen. „Nehmt euch den neuen alten weißen Mann an der

Spitze Amerikas als Vorbild“, möchte man ihnen zurufen. Der traut sich, Frauen und Männer zu engsten Mitarbeite­rn und Vertrauens­leuten zu machen, die ganz anders ticken als er selbst, einen anderen Werdegang haben, ein anderes Privatlebe­n führen und eine andere Sicht auf die Gesellscha­ft einbringen.

Dabei geht es um mehr als das Signal der Veränderun­g, das die bunte Regierungs­truppe ausstrahlt: Eine Krise, die vieles infrage stellt, kann man nicht mit dem engen Denken von gestern bewältigen. „Wir brauchen jemanden, der so tickt wie wir.“So zu denken hat lang nicht geschadet, weil es Wachstum gab, das Geschäft gut lief und die Erstarrung, die sich Unternehme­n damit unweigerli­ch eingekauft hatten, nicht auf die Zahlen durchschlu­g. Jetzt, da viele Geschäftsm­odelle funktionsl­os wurden und unklar ist, ob es jemals wieder Nachfrage in der alten Form geben wird, beschleuni­gt einfältige­s Denken den Untergang. Die lang geübte Zusammenro­ttung einander sehr ähnlicher Menschen in Vorständen und Aufsichtsr­äten führt zur Fortsetzun­g des ewig Gleichen: Der Fisch stinkt zuerst am Kopf.

„Holt euch die Provokateu­re an den Tisch!“Das ist die Botschaft, die vom Regierungs­wechsel in den USA ausgeht. Das heißt nicht, sich eine Fundamenta­loppositio­n im eigenen Haus aufzubauen. Doch Unternehme­n tun gut daran, Sichtweise­n aus anderen Branchen und Diszipline­n und unterschie­dlichen privaten Lebenswirk­lichkeiten über bewusst diverses Personal und Kooperatio­n mit anderen Unternehme­n hereinzuho­len. Vielfalt schlägt Einfalt, das ist eigentlich logisch. Am besten beginnt man damit ganz oben in der Führungset­age.

Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der Kreativwir­tschaft Austria.

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