„Fußball ist nicht das Wichtigste auf der Welt“
Die Coronakrise hat auch den Fußball verändert, doch Jesse Marsch hat seinen Enthusiasmus nicht verloren. Der Trainer von Red Bull Salzburg sieht sein Team für die Frühjahrssaison gut aufgestellt.
SN: Dominik Szoboszlai weg, Jérôme Onguéné weg, Sékou Koïta und Mo Camara womöglich länger gesperrt: Wie gut ist
Red Bull Salzburg für die Frühjahrssaison 2021 jetzt noch aufgestellt?
Jesse Marsch: Wir haben weiterhin einen super Kader und alle Positionen doppelt besetzt. Mit Brenden Aaronson ist zudem ein sehr guter Neuzugang gekommen, der bisher sehr gut trainiert hat und unseren Fußball versteht. Und auch Bernardo wird uns sehr rasch helfen können. Außerdem ist auch Toni Bernede nach langer Verletzungspause wieder retour, er ist also auch fast wie ein Neuzugang zu sehen (lacht). Was mit Mo und Sékou passiert, wissen wir derzeit noch nicht. Aber auch ohne die beiden hätten wir eine starke Mannschaft.
SN: Bis Mitte Mai warten Minimum 23 Pflichtspiele – eine Mammutaufgabe. Ist hier die körperliche oder die mentale Herausforderung größer?
Die Mentalität ist für mich immer das Allerwichtigste.
SN: Die Defensivleistungen standen des Öfteren in der
Kritik, vor allem in internationalen Spielen gab es zu viele Gegentore. Wie sieht vor dem Duell mit Villarreal in der Europa League der Masterplan aus?
Oder gibt es gar eine neue taktische Ausrichtung?
Wir haben die Spiele der Herbstsaison, vor allem die internationalen Matches gegen die Topteams, umfassend analysiert, mit der Mannschaft besprochen und im Trainingsbetrieb eingearbeitet. Wesentlich ist dabei die taktische Balance, vor allem mit dem Ball. Auch der Aspekt, Tore mit aller Macht zu verhindern, oder die genaue Rollenzuteilung
in unserem Verteidigungsdrittel sind Themen, an denen wir arbeiten, um uns da zu verbessern. Aber unsere Art von Fußball, mit der wir ja sehr erfolgreich sind, werden wir nicht ändern.
SN: Sie haben verwundert, manchmal auch verärgert reagiert, wenn Kritik von Fans oder Medien kam, sobald ein Spiel einmal nicht perfekt gelaufen ist. Finden Sie diese hohe öffentliche Erwartungshaltung denn unangebracht?
Wer im Profi-Fußball tätig ist, der muss mit Kritik leben, auch wenn sie nicht immer angebracht ist. Für mich zählt in erster Linie, dass unsere Spieler ihr Potenzial erreichen, wobei es meine Aufgabe ist, die Mannschaft zu Bestleistungen zu stimulieren. Wenn da alles passt, können wir gegen die besten Teams der Welt bestehen, wie wir das ja im Herbst auch getan haben.
SN: An der Ligaspitze ist es so knapp wie seit Jahren nicht mehr: Ist Salzburg nach wie vor Titelfavorit Nummer eins?
Es stimmt, dass etliche Teams vorn sehr knapp beisammen sind. Aber die wichtigsten Spiele kommen erst – die in der Meisterrunde. Auch da wird es dann wieder unser Ziel sein, jedes Spiel zu gewinnen, in dieser Phase entscheidet es sich dann.
Und auch da wollen wir, wie schon im letzten Jahr, wieder voll da sein.
SN: Die Coronavirus-Pandemie hat das Leben vieler Menschen völlig auf den Kopf gestellt.
Hat sie Ihrer Meinung nach auch den Fußball nachhaltig verändert?
Fußball, das sieht man spätestens jetzt, ist zwar wunderschön, aber nicht das Wichtigste auf der Welt. Durch Corona hat sich an diesem Umstand nicht viel verändert, man sieht es jetzt nur deutlicher. Ob sich daraus eine langfristige, strukturelle Änderung ergibt, ist schwierig zu beantworten.
SN: Macht Fußball für Sie so überhaupt noch Spaß?
Natürlich ist es schöner, wenn Fans im Stadion sind und für Stimmung sorgen. Aber der Fußball selbst ändert sich dadurch eigentlich nicht und er macht mir immer noch großen Spaß. Ich habe einen super Job, der sich für mich nicht nach Arbeit anfühlt. Das habe ich schon als Spieler gesagt. Meine Antwort auf diese Frage lautet also: Ja!
SN: Sobald in Deutschland ein neuer Trainer gesucht wird, taucht reflexartig Ihr
Name auf. Ehrt Sie oder stört
Sie das? Und ist das überhaupt ein Karriereziel oder gilt Ihr Treueschwur auf Salzburg noch viele Jahre …?
Ich habe nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte. Auch über meinen nächsten Schritt in meiner Trainerkarriere mache ich mir aktuell keine Gedanken, weil es hier beim FC Red Bull Salzburg für mich viel zu tun gibt. Natürlich sind die Ligen in Deutschland oder England toll. Aber ich möchte mich um jene Dinge, die ich kontrollieren kann, kümmern. Und derartige Gerüchte an der Trainerbörse kann ich definitiv nicht kontrollieren.