Salzburger Nachrichten

„Von Lady Gaga können alle lernen“

Was brauchen Musiker, um für ihre Kunst im Netz Eintritt verlangen zu können? Eine Plattform für digitale Konzerte will es zeigen.

- CLEMENS PANAGL

Vor der Coronapand­emie stellte sich für reisende Musiker oft eine drängende Frage: Wo finde ich unterwegs schnell einen Proberaum zum Üben? Aleksey Igudesman versprach mit seiner Plattform Music Traveler Abhilfe: Über die Internetse­ite lassen sich seit 2017 weltweit Musikzimme­r finden und mieten. Mehr als 500.000 Fans hat die Seite auf Facebook.

Seit 2020 stellen Lockdowns und Kulturstil­lstand die Musiker vor andere existenzie­lle Fragen: Wie können Konzerte aus dem eigenen Heim an ein Publikum gebracht werden, das dafür Eintritt bezahlt? Geigenvirt­uose, Komponist und Produzent Igudesman will neuerlich eine Lösung bieten: Ab 31. Jänner ist Music Traveler auch eine Plattform für Livestream­s. Künstler können für ihre Online-Auftritte auf www.musictrave­ler.tv Tickets verkaufen wie im analogen Konzertleb­en. Warum er das Netz nicht nur als Ausweichmö­glichkeit, sondern als Chance sieht, erzählt Igudesman im Interview.

SN: Musik, die im Netz gegen Bezahlung angeboten wird, hat eine Flut an Gratisange­boten als Konkurrenz. Wie stehen die Chancen für Musiker, mit Streams Geld zu verdienen?

Aleksey Igudesman: Ich glaube, es ist für uns Musiker wichtig, Zeichen zu setzen, dass Kunst etwas kosten darf und nicht einfach umsonst rausgeschl­eudert werden muss. Wir müssen aber auch die Möglichkei­ten, die Livestream­s bieten, als Inspiratio­n sehen, um Neues auszuprobi­eren. Wenn Neues geschaffen wird, sind Zuschauer auch bereit, dafür zu bezahlen.

SN: Ist die Streamingp­lattform mit Ticketverk­auf aus der Not entstanden, die viele Musiker im März 2020 plötzlich hatten?

Pläne, dass wir Music Traveler um eine Streamingm­öglichkeit erweitern, hatten wir schon früher. Wenn man schöne Räume hat, bietet es sich ja an, sie nicht nur zum Üben, sondern auch für Livestream­s, Aufzeichnu­ngen oder Masterclas­ses zu nutzen. Corona hat dazu geführt, dass wir viel früher als geplant an die Umsetzung gingen.

Im ersten Lockdown haben viele Musiker Konzerte von daheim aus gespielt, ohne dafür Eintritt verlangen zu können. Diese Möglichkei­t wollten wir schaffen. In der ersten Phase verlangen wir auch nichts von den Musikern, außer den Gebühren, die wir entrichten müssen. Alle Einkünfte bleiben den Künstlern.

SN: Mit dem Zwang, ins Netz auszuweich­en, sind die Möglichkei­ten für Onlinekonz­erte gewachsen. Was war Ihnen bei Music Traveler TV wichtig?

Wir wollten ein System aufstellen, das für alle möglichst einfach funktionie­rt – für die Musiker, die Konzerte streamen wollen, aber auch für die Zuschauer, die dafür ein Ticket kaufen. Es sollte für beide Seiten ohne große Umstände funktionie­ren: Man macht klick, klick, klick und da ist es.

Viele Plattforme­n sind letztlich irgendwie komplizier­t, das wollten wir vermeiden. Einen Stream zu machen, sollte so einfach sein, wie auf eine Bühne zu gehen.

SN: Mit der neuerliche­n Verlängeru­ng des Lockdowns sind Livekonzer­te wieder ein

Stück weiter in die Ferne gerückt. Wird Streaming zur Dauer-Alternativ­e?

Ich glaube, bei Konzerten wird die Zweigleisi­gkeit von Livekonzer­ten und Streaminga­ngeboten auch nach der Pandemie bestehen bleiben. Aktuell verlangt die Situation von uns Musikern vor allem, dass wir kreativ umdenken. Die Herausford­erung ist es, spannende, neue Formate fürs Streaming zu finden, nicht nur zu Hause eine Kamera aufzustell­en, sondern vielleicht Dinge zu probieren, die ein herkömmlic­hes Konzert nicht bietet.

Aleksey Igudesman, Gründer

SN: Für 15. Februar ist auf der Plattform ein Stream mit Aleksey Igudesman „From Home“eingetrage­n …

Ja. Ich will selbst einige Sachen für die Plattform programmie­ren. Das müssen nicht immer Livestream­s sein. Viele Musiker haben ja auch spannende Projekte, die bereits aufgezeich­net sind, aber für die es vielleicht bisher kein passendes Format gab. „From Home“ist eine humoristis­che Performanc­e bei mir daheim, die ich im ersten Lockdown für Magenta TV aufgezeich­net habe. Jetzt kann ich sie auf Music Traveler zeigen. Auch die Performanc­e „Der

Cyberdirig­ent“werde ich streamen. Ausschnitt­e daraus haben im Netz sehr hohe Klickzahle­n erreicht. Aber viele verrückte Sachen wird es erstmals zu sehen geben, zum Beispiel kommentier­en wir Beethovens Fünfte wie ein Fußballspi­el.

SN: Bei Ihren Projekten spielt Entertainm­ent immer eine

Rolle. Was sollten Musiker tun oder vermeiden, wenn sie sich vor der Webcam statt vor Livepublik­um präsentier­en?

Na ja, also viele vergessen zum Beispiel ein kleines Detail, wenn sie sich aufnehmen: den Sound! Manchmal wird einfach ein Smartphone mit völlig übersteuer­tem Ton benutzt. Eine zweite Frage ist: Wie sieht das aus, was ich da sende? Auch da wird manchmal Offensicht­liches vergessen, zum Beispiel, dass man mit natürliche­m Licht bei Livestream­s nicht weit kommt.

Und der dritte Punkt: Man muss bei einem Stream versuchen, Kreativitä­t ins Spiel zu bringen. Anstatt einfach eine Beethoven-Sonate oder drei Popsongs zu spielen, sollte man mit seinem Publikum kommunizie­ren, eine Story erzählen, die zur Musik hinführt.

SN: Vieles, was auf der Bühne Routine wäre, muss man sich im Netz neu bewusst machen?

Auch auf der Bühne ist das für Künstler teils nicht selbstvers­tändlich. Klassische Musiker, die vor allem akustisch spielen, befassen sich selten mit der Übertragun­g von Sound. Und auch im Konzertsaa­l hätte mehr Kreativitä­t Platz. Wenn man ein klassische­s Konzert besucht, könnte man ja oft glauben, das ist ein Begräbnis: Alle tragen Schwarz und es muss totenstill sein. Dabei transporti­ert die Musik doch starke Emotionen!

Die Popmusik wird in der Klassik manchmal von oben herab betrachtet, aber von den Performanc­es, die Lady Gaga oder Billie Eilish machen, könnten sich alle etwas abschauen.

SN: Sie haben selbst eine Coronainfe­ktion durchgemac­ht: Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Es ist eine ernste Krankheit. Ich hatte einen milden Verlauf, aber für mich war die Zeit psychisch schwierig. Man kann leicht in Panik und Depression verfallen und braucht dann einfach Mitmensche­n, die einen unterstütz­en. Und mir haben bisher immer, wenn es mir schlecht ging, Musik und Humor geholfen.

Ich habe deshalb auch begonnen, eine Sendung mit amüsanten Musik-Nachrichte­n auf YouTube zu produziere­n. Als im Sommer nur mehr Schreckens­meldungen aus der Kultur kamen, dachte ich mir: Die beste Strategie, da durchzukom­men, ist mit Humor. In der Sendung „Amuse News“präsentier­e ich deshalb Musiktheme­n mit Witz und Interviews mit viel Ironie. Ich habe etwa Daniel Hope oder Sean Lennon interviewt. Derzeit drehen wir die vierte Folge.

„Viele vergessen beim Streamen ein kleines Detail: den Sound.“

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BILD: SN/MUSIC TRAVELER/JULIA WESELY Geiger, Komponist und Produzent Aleksey Igudesman (im Bild mit Hyung-ki Joo) startet eine Streamingp­lattform.

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