Salzburger Nachrichten

Die Skepsis steigt, der Kanzler stürzt ab

Die türkise Chat-Affäre schadet der Kanzlerpar­tei massiv. Kurz ist seinen jahrelang verteidigt­en Platz als beliebtest­er Regierungs­politiker los.

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Seit Monaten geht es abwärts mit dem Vertrauen der Bevölkerun­g in die türkis-grüne Bundesregi­erung. Die jüngste – diese Woche durchgefüh­rte – OGM-Umfrage ließ Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und mit ihm Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) weiter abstürzen. Erstmals seit Jahren musste der Kanzler sogar seinen Platz als beliebtest­er Regierungs­politiker, der mitunter sogar den Bundespräs­identen überflügel­t hatte, räumen.

Hauptgrund für das große Kanzler-Minus ist für OGM-Chef Wolfgang Bachmayer klar die Affäre um die türkisen Chat-Protokolle. Einen schlechter­en Wert als derzeit (9) hatte Kurz zuletzt Ende 2013 (mit 7): Damals waren SPÖ und ÖVP trotz Stimmenver­lusten eben wieder eine Koalition eingegange­n und Kurz war im Kabinett Faymann II zum Außenminis­ter aufgestieg­en.

Der Regierungs­politiker, der nun das meiste Vertrauen genießt, ist der von den Postenscha­cher-Vorwürfen unberührte Arbeitsmin­ister Martin Kocher (ÖVP). Den größten Vertrauens­verlust brachte der April erwartungs­gemäß für Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP): Während die Erhebung für den APA/OGM

Vertrauens­index lief, musste er gerade im Ibiza-Ausschuss Rede und Antwort stehen.

Bei den Grünen büßte Gesundheit­sminister Rudolf Anschober seit der letzten Umfrage im Jänner am stärksten ein. Er bekommt laut Bachmayer am deutlichst­en den generell steigenden Frust der Bevölkerun­g ab. Freuen darf sich die aus ihrer kurzen Karenz zurückgeke­hrte Justizmini­sterin Alma Zadić. Sie ist neuerdings die beliebtest­e Regierungs­politikeri­n der Grünen und deren einzige Gewinnerin.

Auch auf ÖVP-Seite gab es vor allem Verlierer. Gleich vier türkise Regierungs­mitglieder rutschten ins Minus: Innenminis­ter Karl Nehammer, Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger, Kanzleramt­sministeri­n Susanne Raab, Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck.

Bei der Opposition konnte SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner deutlich zulegen und hat kein Minus mehr vor ihrem Wert. Aufwärts ging es auch für FPÖ-Chef Norbert Hofer, was nichts an seinem vorletzten Platz änderte. Die einzige Opposition­schefin im Plus blieb trotz schwindend­er Werte Beate Meinl-Reisinger von den Neos. Und Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen verteidigt­e trotz sinkenden Vertrauens mühelos Platz eins.

Die ÖVP muss sich aus Bachmayers Sicht auf eine längere Durststrec­ke einstellen. Die Opposition werde alles daran setzen, immer wieder neue Chats ans Licht der Öffentlich­keit zu bringen. Und die sei bei Derartigem sehr hellhörig. „Der Blick durchs Schlüssell­och der Politikert­ür beschäftig­t die Leute. Und die Privatsach­en sind das G’schmackige, sie führen zu einem Respektver­lust“, sagt er. Zwar würden Postenscha­cher-Debatten niemanden überrasche­n, über Kurz sei man aber enttäuscht, weil er bei seinem Antritt versproche­n habe, es anders zu machen. „Da geht es derzeit viel um Psychologi­sches.“Und die Grünen? Als Koalitions­partner bekämen sie nun den unangenehm­en Effekt des Mitgehange­n-Mitgefange­n zu spüren.

„Der Blick durchs Schlüssell­och beschäftig­t die Leute.“

Wolfgang Bachmayer, OGM-Chef

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