Näher am Krieg als am Frieden
Es braut sich was zusammen zwischen Russland und der Ukraine. Der Kreml wirft der Führung in Kiew vor, den Konflikt im Donbass „beispiellos zu eskalieren“. Das ist zunächst einmal blanker Unsinn. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zuletzt zwar provoziert. Via Twitter forderte er einen schnellen NATO-Beitritt, bevor er sich in Kampfmontur beim Frontbesuch filmen ließ. Aber die ukrainische Armee ist der russischen so heillos unterlegen, dass sich jede Eskalation im Donbass für die Ukraine von selbst verbietet. Daran ändert auch die überflüssige Entsendung von ein paar US-Kriegsschiffen nichts.
Militärisch hat Russland mit seiner Schwarzmeerflotte und mindestens 60.000 Soldaten, die auf der Krim und im Grenzgebiet zur Ukraine stationiert sind, die klare Hoheit in dieser Weltregion. Wenn Präsident Wladimir Putin wollte, würden russische Panzerbrigaden innerhalb kürzester Zeit nach
Kiew vorstoßen und die gesamte Ukraine erobern.
Doch darum geht es Putin nicht. So wie auch Selenskyj und USPräsident Joe Biden keinen echten Krieg wollen. Aber was ist mit einem echten Frieden? Davon sind die Beteiligten derzeit noch viel weiter entfernt als vom Krieg. Dabei hat Putin kein Interesse an einer Lösung des Dauerkonflikts. Eine westlich orientierte und wirtschaftlich aufblühende Ukraine vor der eigenen Haustür wäre eine Katastrophe für sein autoritäres und korruptes Regime.
Jede Zuspitzung der Lage dagegen hilft Putin bei der innenpolitischen Mobilisierung seiner Anhänger. Fünf Monate vor der Duma-Wahl kommt dem Kreml deshalb die aktuelle Eskalation durchaus entgegen. Wenn sein Sprecher nun umgekehrt der Ukraine beispielloses Eskalieren vorwirft, dann klingt das doch sehr nach einem Vorwand für einen „Gegenschlag“. Viel spricht deshalb dafür, dass Putin in den kommenden Wochen eine „Friedenstruppe“im Donbass stationieren wird. Leider nicht, um Frieden zu schaffen. Denn daran fehlt ihm jedes Interesse.