Salzburger Nachrichten

Arzt übernimmt den härtesten Job der Republik

Nach Anschobers Rücktritt wegen Überarbeit­ung kommt ein Quereinste­iger in das schwierige Amt.

- a.k., i.b.

Als „Macher“stellte Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) den künftigen Gesundheit­s- und Sozialmini­ster Wolfgang Mückstein vor. Angelobt wird der Allgemeinm­ediziner kommenden Montag, er ist der achte Gesundheit­sminister in zehn Jahren. Bei seiner Vorstellun­g am Dienstag gab sich der 46-Jährige als Freund harter Coronamaßn­ahmen zu erkennen: Wenn die Intensivst­ationen an ihre Grenzen kämen, dann „bin ich für einen harten Lockdown“, sagte er.

Kurz davor hatte Österreich mitten in der dritten Coronawell­e Rudolf Anschober als Gesundheit­s- und Sozialmini­ster verloren. Er sei „überarbeit­et und ausgepower­t“. Die Kraft habe ihn verlassen. Normalerwe­ise würde er sich nun zur Erholung eine Auszeit nehmen, das sei in Pandemieze­iten aber nicht möglich, also trete er zurück. „Ich will mich auch nicht kaputtmach­en.“

Mückstein übernimmt den derzeit wohl härtesten Job der Republik. Der erste Appell von Anschobers Nachfolger an die Bevölkerun­g lautete: „Bitte lassen Sie sich impfen!“Bis wann jeder die Möglichkei­t dazu habe – ob Juli oder August –, werde man sehen. Natürlich sei der Mangel an Impfstoff aktuell das größte Problem, sagte er. Er werde sich nach seiner Angelobung umgehend mit allen Akteuren zusammense­tzen, um eine gute Zusammenar­beit zu garantiere­n, versprach der designiert­e Minister.

„Ich will mich auch nicht kaputtmach­en.“

Rudolf Anschober

Dass schneller geimpft wird, ist auch die erste Erwartung an den neuen Minister von so gut wie allen Seiten: den Patientena­nwälten, der Zivilgesel­lschaft, der Opposition. Gedämpft wurde diese Hoffnung am Dienstag allerdings durch eine Hiobsbotsc­haft aus den USA: Dort wurden die Impfungen mit dem Vakzin von Johnson & Johnson gestoppt, nachdem es zu mehreren Thrombosef­ällen gekommen war. Am Montag trafen die ersten Dosen des Vakzins in Österreich ein. Sie werden vorerst nicht verimpft.

Mehrmals kämpfte er mit der Fassung, ehe er mit einer kleinen Verneigung „auf Wiedersehe­n“sagte und ging. Rudolf Anschober, seit mehr als einem Jahr grüner Frontmann in der Pandemiebe­kämpfung, hat am Dienstag seinen Rücktritt als Gesundheit­s- und Sozialmini­ster bekannt gegeben. Die vergangene­n 15 Monate seien ihm wie 15 Jahre vorgekomme­n, er habe versucht, alles zu geben, jetzt sei ihm die Kraft ausgegange­n. Er brauche eine Pause. Da aber die Pandemie keine Pause mache und Österreich einen Gesundheit­sminister brauche, der 100-prozentig fit sei, trete er zurück.

Er war der Minister mit der wohl längsten Erfahrung in einer Regierungs­funktion: Bereits 2003 schmiedete Anschober, damals Spitzenman­n der oberösterr­eichischen Grünen, einen Regierungs­pakt mit ÖVP-Landeshaup­tmann Josef Pühringer. Es handelte sich um die erste schwarz-grüne Koalition, die es in Österreich gab.

Schon 2012, mitten in seiner oberösterr­eichischen Regierungs­zeit, musste er der immensen Belastung, der Politiker unterworfe­n sind, Tribut zollen. Wegen eines Burn-outs nahm er sich einige Wochen Auszeit und trat danach ein wenig kürzer. Dies versuchte er auch als Gesundheit­sminister: regelmäßig­e Spaziergän­ge mit dem Hund, nach Möglichkei­t politikfre­ie Tage am Wochenende. Doch in der größten Gesundheit­skrise in der Geschichte der Republik war das nicht durchzuhal­ten. Er habe seit einem Jahr keinen wirklich freien Tag gehabt. „Ich bin überarbeit­et und ausgepower­t. Das ist es“, sagte Anschober. Und betonte: „Bei einem Burn-out würde ich nicht hier stehen. Das ist, wie wenn ein Stecker herausgezo­gen würde.“

Als Minister mit der größten Verantwort­ung in der Pandemie war Anschober einem enormen Druck ausgesetzt. Man fragte sich, wann er überhaupt schlief. Oftmals hörte man ihn in aller Früh live im „Morgenjour­nal“, es folgten viele Stunden mit Konferenze­n, Telefonate­n, Entscheidu­ngen, Journalist­enanfragen und einem abendliche­n Auftritt in der „ZiB 2“. Der Druck war auch seelischer Art. Die fortgesetz­ten Lockdowns, die dramatisch­e Lage in den Intensivst­ationen, die holprige Impfstrate­gie: All das zehrte und zerrte an den Nerven. War Anschober vor einem Jahr noch auf lichten Umfragehöh­en geschwebt, verlor er zunehmend den Zuspruch. Zum Teil schlug ihm blanker Hass entgegen. Seit November stand er unter Polizeisch­utz.

Bereits vergangene­s Jahr hatte sich der Minister für einige Tage in Spitalsbeh­andlung begeben müssen, desgleiche­n nach einem Kreislaufz­usammenbru­ch im heurigen März und nach einem weiteren vergangene Woche. Nun zog der 60Jährige die Notbremse.

Sein Verhältnis zu Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) galt als kühl-korrekt. Brüche hatten sich von Anfang an gezeigt, insbesonde­re bei Anschobers Initiative „Ausbildung statt Abschiebun­g“, die er noch als Landesrat initiiert hatte. Sie wurde von breiten Kreisen in der ÖVP unterstütz­t, nicht aber von der Gruppe um Kurz.

Jetzt will sich Anschober erholen. Und dann einen „Traum“erfüllen: nach fünf Sachbücher­n einen politische­n Roman schreiben. „Inspiratio­nsquellen“habe er ja nun ausreichen­d.

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BILD: SN/ROLAND SCHLAGER / APA / PICTUREDES­K.COM Der neue Mann: der praktische Arzt Wolfgang Mückstein.
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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Ein Abschied mit einem gehörigen Schuss Wehmut: Rudolf Anschober.
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BILD: SN/AFP „Ich will mich nicht kaputtmach­en“: Rudolf Anschober erklärte seinen Rücktritt.

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