Salzburger Nachrichten

Sputnik V zündet nicht

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MARTIN STRICKER

MOSKAU, BRÜSSEL. Der slowakisch­e Premier Igor Matovič stolperte über sie. Ungarns Regierung setzt sie klammheiml­ich immer weniger ein. Vielen, darunter Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz, gilt sie als Retter in der Not. Die Wunderwaff­e des Kreml-Chefs Wladimir Putin heißt Sputnik V. Zweifel oder gar Kritik an dem mangels Offenlegun­g von Daten geheimnisv­ollen Coronaimpf­stoff werden von russischer Seite als Versuche zurückgewi­esen, den Impfstoff zu „geopolitis­ieren“. Auch Kurz stieg darauf ein. Er habe das Gefühl, dass „von manchen geopolitis­ch agiert werde“, meinte er vergangene Woche.

Doch die jüngsten Ereignisse in der Slowakei haben der Strategie des Kreml, sich als selbstlose­r Helfer einer dahinstolp­ernden EU zu inszeniere­n, einen empfindlic­hen Schlag versetzt. Premier Igor Matovič, ein rechtskons­ervativer Unternehme­r, musste sein Amt abtreten, nachdem er im Alleingang zwei Millionen Sputnik-Dosen bestellt und die ersten 200.000 persönlich am Flughafen in Empfang genommen hatte. Dann verweigert­e die slowakisch­e Arzneimitt­elbehörde SKUL auch noch eine nationale Zulassung. Der medienwirk­sam gelieferte Impfstoff sei nicht ident mit jenem, der vor einigen Wochen in einem viel beachteten Bericht des Fachmagazi­ns „The Lancet“gelobt worden sei, stellten die Prüfer bereits nach einfachen Tests fest. Es handle sich auch nicht um jene Sputnik-Vakzine, die in anderen Ländern verwendet würden. Zudem habe man unterschie­dliche Chargen erhalten. Die Substanzen verbinde nur der Name. Russland sei auch nach wiederholt­er Aufforderu­ng 80 Prozent der gewünschte­n Daten schuldig geblieben.

„Fake News“, konterten der russische Staatsfond­s RDIF und sein Chef Kirill Dmitriew, der Sputnik vertreibt, via Twitter und forderten die 200.000 Impfdosen zurück. Die SKUL betreibe eine „Desinforma­tionskampa­gne“.

Ex-Premier Matovič, nunmehr Finanzmini­ster, schloss sich an. „Gratuliere, Idioten!“, richtete er der eigenen Prüfbehörd­e aus.

Doch selbst Ungarn, das bisher einzige EU-Land, das Sputnik einsetzt, hält sich mittlerwei­le zurück. Angeblich sollen bei Weitem nicht alle Sputnik-Dosen verimpft worden sein. Mehr Vertrauen genießt die chinesisch­e Konkurrenz Sinovac, auch wenn die Ergebnisse erster großer Tests in Brasilien eine Schutzwirk­ung von nur knapp 50 Prozent zeigen.

Bei der EU-Arzneimitt­elbehörde EMA hat Russland noch keinen Zulassungs­antrag gestellt. Es läuft ein sogenannte­s „Rolling Review“-Verfahren, in dem laufend Daten eingereich­t werden. Bislang lieferte das russische Staatsinst­itut Gamaleja, das Sputnik entwickelt hat, nur Zwischener­gebnisse. Es gebe noch „keinen Bericht über eine abgeschlos­sene Studie“, betonte der Mediziner Fred Zepp, Mitglied der Ständigen Impfkommis­sion der Regierung in Berlin, in deutschen Medien.

Vergangene Woche bestätigte die EMA jedoch den Eingang von Berichten über zehn Fälle von angebliche­n Nebenwirku­ngen nach Sputnik-Impfungen. Vier davon sollen tödlich verlaufen sein. Ein Whistleblo­wer hatte die Informatio­nen an die EMA übermittel­t. Die russische Gesundheit­sagentur Roszdravna­dzor bestätigte einen entspreche­nden Bericht des Nachrichte­nportals EUObserver­s, bestritt aber einen Zusammenha­ng mit dem Impfstoff.

Doch abgesehen von fehlenden Daten, Geheimnisk­rämerei und Moskauer Propaganda: Sputnik V eignet sich schon aus anderen Gründen kaum als Heilsbring­er. Laut offizielle­n Angaben wurden in

Russland im März gerade einmal 12,5 Millionen Dosen produziert, im April sollen es 17 Millionen werden. Sputnik-Chefverkäu­fer Dmitriew sagte dem „Spiegel“, erst „nach Juni“könnten innerhalb von drei bis vier Monaten 50 Millionen Dosen nach Europa geliefert werden. Dann aber dürfte es keinen Bedarf mehr geben. Jens Spahn, deutscher Gesundheit­sminister, sagte, Lieferunge­n müssten in den kommenden zwei bis fünf Monaten kommen, um „wirklich einen Unterschie­d zu machen“. Später werde es mehr als genug Impfstoff geben. Und auch Thierry Breton, in der EU-Kommission zuständig für die Ankurbelun­g der Impfstoffp­roduktion, gab bereits zu Protokoll: Es gebe absolut keinen Bedarf an Sputnik V.

Dem schlossen sich laut einer Umfrage des unabhängig­en Moskauer Lewada-Instituts 62 Prozent der Russen an. Sie wollen sich keinesfall­s mit Sputnik impfen lassen. Der Hauptgrund: Angst vor Nebenwirku­ngen.

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BILD: SN/AP Wladimir Putin setzt sich als Retter in der Not ins Bild.

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