Ein Wesen trägt zwei Gesichter
In Essays wirkt der Autor Martin Mosebach anders als in Romanen. Auch seiner neuen Romanfigur Ralph Krass gibt er zwei Gesichter – selbstsüchtiger Waffenhändler sowie mittelloser Kranker.
Der Essayist als Provokateur ist zu trennen vom Schriftsteller Martin Mosebach, der seine Romane nicht als Plattform für Glaubensfragen benutzt. In seinen Ansichten erweist er sich als erzkatholisch, jeden Fortschritt in der Kirche als Verirrung anprangernd. Er gefällt sich als Reaktionär, dem Demokratie suspekt ist. Oft hat er damit angeeckt, oft ist seine Literatur auf dem Hintergrund seiner sturschädeligen Haltung kritisiert worden. Aber sobald er ins Erzählen kommt, entfernt er sich vom Dogmatischen. Selbst als moralische Aufrüstungsliteratur gibt ein Mosebach-Roman nichts her. Man muss sich nur die Figur des Ralph Krass im neuen Roman ansehen. Krass schwimmt in Geld, was immer er will, kriegt er. Er umgibt sich mit Leuten, die von ihm abhängig sind, hält sie großzügig aus und benützt sie; im tiefsten Inneren verachtet er sie. Den Welteroberer empfindet er als die ihm angemessene Rolle. Nicht durch eine Armee schafft er sich Untertanen, er verlässt sich auf Geschäfte.
Ralph Krass handelt mit Waffen, um internationale Vereinbarungen kümmert er sich nicht. Ein Embargo umgeht er, indem er die Lieferung eines US-amerikanischen Panzers „über Rhodos, Türkei, Libanon nach Ägypten“abwickelt. Dennoch macht Mosebach aus diesem unangenehmen Zeitgenossen keinen Widerling. Gewiss ist er selbstsüchtig und menschenverachtend, dennoch gibt es noch einen anderen Krass. Zu erfahren ist das von einer Frau, die Krass kurzzeitig nahesteht. Lidewine ist eine Zufallsbekanntschaft, der sich Krass spontan als Gönner zuwendet. Es wird Abstand gewahrt, kein Pantscherl zwischen den beiden. Sie lässt sich nicht aushalten, sie ist tatsächlich fasziniert von ihm, seiner Unnahbarkeit, seinem Charisma.
Ihm gegenüber fallen alle anderen ab. Selbst sein Faktotum Dr. Jüngel, der zu Krass in einem Ausbeutungsverhältnis steht, kann sich der Ausstrahlung nicht entziehen. Im Jahr 1988 halten sich die drei mit einer Gruppe Verschworener zusammen in Neapel auf. Ein Spektakel der Großmannssucht.
Zwanzig Jahre später führt in Kairo der Zufall wieder Regie. Krass, Lidewine und Jüngel treffen dort unvorhergesehen aufeinander. Krass ist mittellos geworden und todkrank, die beiden anderen haben etwas aus sich gemacht. Die Karten sind neu gemischt, die Beziehungen bleiben unverändert. Lidewine schafft es gerade noch zum Totenbett von Krass. Die bisher stets Souveräne wandelt sich angesichts des Verstorbenen zur Leidensfrau.
Wenn dem Zufall in Literatur eine derart gewichtige Rolle zukommt, muss das nicht am Versagen des Verfassers liegen. Bei Mosebach richtet die Zufallsbegegnung eine Versuchsanordnung an, um die Verlässlichkeit menschlicher Beziehungen auszutesten. Begegnungen vor zwanzig Jahren sind so prägend, dass sie selbst unter neuen gesellschaftlichen und persönlichen Verhältnissen Korrekturen nicht zulassen. Bei Mosebach zählen nur die Kohäsionskräfte zwischen Menschen, von Politik lässt er die Finger.
Seine Figuren sind so fixiert auf sich selbst, dass sie auf die Welt um sich vergessen. Die Berliner Mauer stürzt, und als Jüngel genau dann Rückschau hält auf die Zeit in Neapel, fällt darüber kein Wort. Jeder ist sich selbst genug. Wenn tatsächlich Menschlichkeit siegt, dann in einer nach westlichen Maßstäben rückständigen Welt wie in Ägypten. Das ist auch eine nüchterne, wenig von Moral getränkte Botschaft.