Freibrief für Corona-Demos?
Das Verwaltungsgericht Wien erklärte die Untersagung einer FPÖ-Versammlung als unzulässig. Die Art und Weise, wie der Richter zu der Entscheidung gelangte, sorgt jedoch für Unverständnis.
WIEN. Heftige Reaktionen ruft derzeit ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien hervor. Der zuständige Richter erklärt darin auf 13 Seiten, wieso die Untersagung einer FPÖ-Versammlung am 31. Jänner 2021 durch die Polizei zu Unrecht erfolgt sei. Dabei gilt nicht die Entscheidung selbst, sondern die Art und Weise, die zu ihr führte, als überaus umstritten. Experten verweisen auf methodische Mängel.
Ein Beispiel: Laut dem Erkenntnis verwende der Gesundheitsdienst der Stadt Wien in seiner Einschätzung zur Gefahr der Verbreitung von Covid-19 bei Versammlungen Begriffe, die „einer wissenschaftlichen Beurteilung der Seuchenlage nicht gerecht“würden. Sie stünden auch nicht im Einklang mit den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation. Darüber hinaus habe der Richter nach Eigenrecherche im Internet und in etlichen Studien die Wirkung von PCR-Tests in Zweifel gezogen.
Und genau daran entzündet sich nun die Kritik: „Das sind Entscheidungen, die man als Richter nicht allein treffen kann“, sagt Karl Stöger aus der Abteilung Medizinrecht des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien. „Der Richter ist ein ausgebildeter Jurist, hat aber in diesem Fall medizinische Fachfragen gelöst. Er hätte sich das aber von jemandem erklären lassen müssen, der dazu befugt ist. Man sollte solche Schlüsse nur ziehen, wenn man sich das vorher von einem Sachverständigen hat aufbereiten lassen.“Die Beiziehung eines solchen Experten sei verfahrensrechtlich sogar vorgesehen.
Peter Bußjäger, Universitätsprofessor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Universität Innsbruck, bezeichnete das Erkenntnis als „schräg“. Prinzipiell sei es natürlich die Aufgabe des Richters, die Untersagung der Versammlung für rechtswidrig zu erklären, wenn er auf Basis der vorgelegten Daten zu dieser Auffassung gelange. „Nur wie er zu diesem Ergebnis gelangt, das scheint mir sehr zweifelhaft.“
Selbst die traditionell zurückhaltende Austria Presse Agentur APA fand in einem „Fakten-Check“ungewohnt deutliche Worte: „Es handelt sich bei den Behauptungen in der Entscheidung großteils um falsche, unbelegte oder irreführende Informationen.“
Wie geht es jetzt weiter? Die Landespolizeidirektion Wien hat eine „außerordentliche Revision“beantragt. Eine ordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgericht nicht zugelassen. Dieser „Einspruch“geht nun an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH). „Der kann das Erkenntnis aufheben und selbst in der Sache entscheiden, was sehr selten vorkommt“, erklärt Beatrix Hornschall, Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Wien, im SN-Gespräch.
Viel wahrscheinlicher sei, dass das Erkenntnis an den zuständigen Richter zurückgehe – allerdings müsse dieser dann die Rechtsansichten des VwGH in seine überarbeitete Entscheidung einfließen lassen.
Öffnet dieser Fall künftigen AntiCorona-Demonstrationen Tür und Tor? Geht es nach Beatrix Hornschall, dann: nein. „Wir entscheiden ausschließlich in Einzelfällen. Einer von 95 Verwaltungsrichtern hat nun bezüglich einer Demonstration so entschieden.“Bindungswirkung habe das aber keine. „Wir haben auch andere Fälle anhängig, die nicht an die Rechtsmeinung des Erkenntnisses gebunden sind. Wir sind kein Höchstgericht.“Die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts bleibt, was die Folgen dieses Falls auf weitere Kundgebungen betrifft, gelassen: „Es war der erste, darum wurde er auch medial so beleuchtet. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“
„Richter kann das nicht allein entscheiden.“
Karl Stöger, Verwaltungsjurist