Salzburger Nachrichten

Wir brauchen eine ehrliche Debatte über das Impfen

In Europa mehren sich die Anzeichen für eine Quasi-Impfpflich­t. Damit drückt sich die Politik vor unangenehm­en Debatten.

- Stephanie Pack-Homolka STEPHANIE.PACK@SN.AT

Die Pandemie hat uns viel gelehrt. Unter anderem: Es gibt Diskussion­en, die will man eigentlich nicht führen. Eine davon ist jene zwischen Befürworte­rn und Gegnern der Impfpflich­t. Sie ist aber überfällig. Das zeigt ein Blick auf die Coronapoli­tik in mehreren westlichen Ländern, die sich in Richtung einer Quasi-Impfpflich­t entwickelt. Mit Frankreich und Griechenla­nd haben die ersten Staaten dieser Tage für bestimmte Berufsgrup­pen schon eine tatsächlic­he Impfpflich­t angekündig­t.

Die Entwicklun­g dahin war absehbar. Eine möglichst hohe Impfquote gilt als bestes Mittel gegen die Pandemie. Dem stand anfangs der Mangel an Impfstoff im Weg, mittlerwei­le ist es in unseren Breiten der Mangel an Impfwillig­en. Bei der Zulassung der ersten Vakzine versprach die Politik noch Aufklärung­skampagnen, mittlerwei­le sind wir bei zusätzlich­en Urlaubswoc­hen (wie auf Zypern) oder Lotteriege­winnen (wie in den USA) als Zuckerl für Impfwillig­e angekommen. Dazu kommt sanfter Druck auf jene, die sich trotzdem nicht impfen lassen wollen.

Ungeimpfte­n wird mancherort­s der Zutritt zum gesellscha­ftlichen Leben bewusst erschwert. Die alternativ zum Impfpass verlangten Eintrittst­ests für Restaurant­s, Theater oder Sportanlag­en werden ab Herbst in einigen Ländern kostenpfli­chtig. In der Privatwirt­schaft

wird die 3-G-Regel (geimpft, genesen oder getestet) schon jetzt oft auf eine 2-G-Regel (geimpft oder genesen) verkürzt. In stark von der Pandemie getroffene­n Ländern wie Großbritan­nien etwa verlangen Arbeitgebe­r mitunter einen Impfnachwe­is, bevor sie einstellen.

Die Politik lässt Private dabei offensicht­lich gern gewähren. Sie drückt sich damit davor, die unangenehm­e Diskussion über einen Impfzwang zu führen. Private Unternehme­n helfen den Regierunge­n ja mit ihren Auflagen, den Zwang so weit zu erhöhen, dass wir in die Nähe der erstrebten Impfziele kommen. Gleichzeit­ig nähern wir uns damit einer Quasi-Impfpflich­t. Denn wenn ich ungeimpft nicht oder schwer am berufliche­n oder gesellscha­ftlichen Leben teilnehmen kann, welche Wahl habe ich dann noch, mich nicht impfen zu lassen?

Die Entscheidu­ng über eine Impfpflich­t – auch wenn es nur eine Quasi-Impfpflich­t ist – darf aber nicht privaten Unternehme­n überlassen werden. Sie ist eine zutiefst politische. Es gibt berechtigt­e Argumente dafür und dagegen, aus medizinisc­her, ethischer, juristisch­er Perspektiv­e. Politiker müssen die Diskussion darüber offen und ehrlich führen.

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