Wir brauchen eine ehrliche Debatte über das Impfen
In Europa mehren sich die Anzeichen für eine Quasi-Impfpflicht. Damit drückt sich die Politik vor unangenehmen Debatten.
Die Pandemie hat uns viel gelehrt. Unter anderem: Es gibt Diskussionen, die will man eigentlich nicht führen. Eine davon ist jene zwischen Befürwortern und Gegnern der Impfpflicht. Sie ist aber überfällig. Das zeigt ein Blick auf die Coronapolitik in mehreren westlichen Ländern, die sich in Richtung einer Quasi-Impfpflicht entwickelt. Mit Frankreich und Griechenland haben die ersten Staaten dieser Tage für bestimmte Berufsgruppen schon eine tatsächliche Impfpflicht angekündigt.
Die Entwicklung dahin war absehbar. Eine möglichst hohe Impfquote gilt als bestes Mittel gegen die Pandemie. Dem stand anfangs der Mangel an Impfstoff im Weg, mittlerweile ist es in unseren Breiten der Mangel an Impfwilligen. Bei der Zulassung der ersten Vakzine versprach die Politik noch Aufklärungskampagnen, mittlerweile sind wir bei zusätzlichen Urlaubswochen (wie auf Zypern) oder Lotteriegewinnen (wie in den USA) als Zuckerl für Impfwillige angekommen. Dazu kommt sanfter Druck auf jene, die sich trotzdem nicht impfen lassen wollen.
Ungeimpften wird mancherorts der Zutritt zum gesellschaftlichen Leben bewusst erschwert. Die alternativ zum Impfpass verlangten Eintrittstests für Restaurants, Theater oder Sportanlagen werden ab Herbst in einigen Ländern kostenpflichtig. In der Privatwirtschaft
wird die 3-G-Regel (geimpft, genesen oder getestet) schon jetzt oft auf eine 2-G-Regel (geimpft oder genesen) verkürzt. In stark von der Pandemie getroffenen Ländern wie Großbritannien etwa verlangen Arbeitgeber mitunter einen Impfnachweis, bevor sie einstellen.
Die Politik lässt Private dabei offensichtlich gern gewähren. Sie drückt sich damit davor, die unangenehme Diskussion über einen Impfzwang zu führen. Private Unternehmen helfen den Regierungen ja mit ihren Auflagen, den Zwang so weit zu erhöhen, dass wir in die Nähe der erstrebten Impfziele kommen. Gleichzeitig nähern wir uns damit einer Quasi-Impfpflicht. Denn wenn ich ungeimpft nicht oder schwer am beruflichen oder gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, welche Wahl habe ich dann noch, mich nicht impfen zu lassen?
Die Entscheidung über eine Impfpflicht – auch wenn es nur eine Quasi-Impfpflicht ist – darf aber nicht privaten Unternehmen überlassen werden. Sie ist eine zutiefst politische. Es gibt berechtigte Argumente dafür und dagegen, aus medizinischer, ethischer, juristischer Perspektive. Politiker müssen die Diskussion darüber offen und ehrlich führen.