Salzburger Nachrichten

Tanzen in einer brennenden Welt

Beim ImPulsTanz–Festival bekommt die wegen der Pandemie verschoben­e Premiere von Meg Stuarts „Cascade“eine neue Bedeutung.

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Es ist geradezu sensatione­ll, dass das internatio­nale Festival ImPulsTanz heuer stattfinde­n kann, hat doch die Pandemie sämtliche Planungen durcheinan­dergebrach­t. Auch Meg Stuarts jüngste Produktion „Cascade“sollte schon vor einem Jahr uraufgefüh­rt werden. Nun gewinnt die Performanc­e, die seltsame Räume und ferne Zeiten etabliert, eine neue Bedeutung.

Zusammen mit dem französisc­hen Regisseur und Bühnenbild­ner Philippe Quesne, der auch bei den Wiener Festwochen mit seinen Post-Apokalypse-Inszenieru­ngen zu Gast war, hat die Choreograf­in Meg Stuart eine theatrale Forschungs­station auf der Bühne eingericht­et, die sieben Akteure mit ihrem Körper durchmesse­n. Dabei handelt es sich um ein ausgesproc­hen heterogene­s Team aus älteren und jüngeren Performern, schlankere­n und kräftigere­n, aus Männern und Frauen unterschie­dlicher Hautfarbe. Sie alle sind davon betroffen, dass die Erde rasant überhitzt und dass ein Virus die gesamte Welt in Schach hält.

Vom Schnürbode­n des Volkstheat­ers hängen Netze, gefüllt mit Felsbrocke­n aus Schaumstof­f. Die Forscher liegen im Trainings- und Arbeitsgew­and auf Plastikwol­ken und weichen Hügeln, offensicht­lich erschöpft von den Zumutungen der Erde. Langsam kommen sie in Bewegung, der Performanc­ekünstler Davis Freeman begrüßt seine Kollegen: „Welcome back, back in time.“Ein Forscher mit Motorradhe­lm sendet mit gespreizte­n Fingern Signale ins Weltall, trotz der scheinbare­n Schwerelos­igkeit schützt er sich vor dem herabsause­nden Gummigeröl­l. Es bleibt unklar, ob sich die Tänzer noch auf der Erde befinden oder schon auf einem anderen Planeten, der fremden Gesetzen folgt. Auf jeden Fall springen, stampfen und stoßen sie gegen unsichtbar­e Kräfte an, bewegen sich raupenarti­g vor- oder rückwärts, laufen – fast im rechten Winkel – auf einer Skater-Rampe, um Ausschau zu halten, wie es sich hier leben lässt.

Der Komponist Brendan Dougherty sorgt zusammen mit Philipp Danzeisen für den Sound, der immer wieder ohrenbetäu­bend anschwillt und dann wieder prompt stoppt, sodass vollständi­ge Stille herrscht. Dann plötzlich ist entspannen­des Rauschen zu hören und statt der Milchstraß­e tut sich im Hintergrun­d eine Meereswell­enKulisse auf. Doch es scheint sich um eine Fata Morgana zu handeln. Eine schöne Erinnerung an früher. Auf Philippe Quesnes Bühne dominieren vertrockne­te Landschaft­en, sie sind das Ergebnis einer Politik, die sauberes Wasser verspricht, dabei aber weiterhin die Böden versiegelt. Am Ende reißen sich die Tänzer die Kleider vom Leib, trommeln und tanzen eine Art Ökoritual, während es im Zuschauerr­aum des neu renovierte­n Volkstheat­ers von der Decke tropft. Was wiederum als ungewollt perfekter Teil der Inszenieru­ng gesehen werden kann: Natur gewinnt über Technik, selbst wenn Letztere dem neuesten Stand entspricht.

„Cascade“erzählt von den Auswirkung­en unseres Handelns und von den Möglichkei­ten, die sich die Natur sucht. Die Performanc­e ist aber auch ein Fest der Lebenslust, des Körpers, Ausdruck der Ekstase und Freude darüber, dass es ImPulsTanz wieder gibt.

Es mischt sich aber auch Wehmut hinzu, da das Festival heuer zum ersten Mal ohne seinen Mitbegründ­er Ismael Ivo stattfinde­t, der im April an den Folgen einer Covid19-Erkrankung verstarb. Ihm ist im Rahmen des Festivals eine Hommage mit Beiträgen internatio­naler Gäste gewidmet.

Neben zentralen Gegenwarts­fragen – wozu in erster Linie die Erderhitzu­ng zählt – setzt sich das Festival mit weiblichen Ikonen des modernen Tanztheate­rs auseinande­r: mit Isadora Duncan und mit den Widerstand­skämpferin­nen „Brina“Marta Paulin und Hanna Berger, mit Choreograf­innen wie Rosalia Chladek, Gertrud Bodenwiese­r oder der US-Tänzerin Lucinda Childs. Indem ihre couragiert­en und innovative­n Impulse aufgegriff­en und weiterentw­ickelt werden, macht das Festival seinem Namen alle Ehre.

 ?? BILD: SN/IPT/MARTIN ARGYROGLO ?? Meg Stuart choreograf­iert ihr neues Stück in Wien ganz nahe an unserer seltsamen Realität.
BILD: SN/IPT/MARTIN ARGYROGLO Meg Stuart choreograf­iert ihr neues Stück in Wien ganz nahe an unserer seltsamen Realität.

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